Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
brauchen wir noch dorthin?«, wollte Gisela wissen.
»Ich schätze zwei Tage, wenn wir die Gäule ausgreifen lassen. Eine Nacht werden wir unter freiem Himmel verbringen müssen.«
»Dann sollten wir abwechselnd Wache halten, denn es hieß, es streifen Indianer umher«, schlug Thierry vor.
»Das tun wir! Aber jetzt sollten wir ein wenig schneller werden, sonst schlafen wir noch eine zweite Nacht unter dem Sternenzelt.« Walther ließ erneut die Peitsche kreisen und sah zufrieden, wie sein Brauner antrabte.
10.
B is auf einen Indianer, den Walther in der Ferne zu erkennen glaubte, verlief die Nacht unter freiem Himmel ohne Probleme. Hatten sie am Abend kalt gegessen, so kochte Gisela diesmal Kaffee und wärmte ein paar Pfannkuchen auf. Zwar verlockte es sie, so rasch wie möglich nach San Felipe de Austin zu gelangen, aber sie wollte nicht ausgehungert dort ankommen. Sie aß mehr als in der letzten Zeit und sah zufrieden, dass auch Walther und Thierry herzhaft zugriffen.
Als der Normanne die Marmelade auf seinen Pfannkuchen strich und anschließend hineinbiss, seufzte er. »Da merkt man erst richtig, was eine gute Ehefrau wert ist!«
»Hauptsache, es schmeckt«, antwortete Gisela geschmeichelt.
Walther lächelte zufrieden, als sich das Gesicht seiner Frau leicht rötete, beendete sein Frühstück und zäumte das Pferd auf. »Wir sollten uns sputen, damit wir San Felipe früh genug erreichen.«
Erst als er es ausgesprochen hatte, merkte er, dass er diesmal den Zusatz de Austin weggelassen hatte. Wie es aussah, nahm Austins Stadt bereits eine wichtigere Stellung für ihn ein als San Felipe de Guzmán, obwohl er sie noch nicht kennengelernt hatte.
Gegen Mittag entdeckten sie am Horizont eine Farm. Da sie abseits des vermuteten Weges nach San Felipe de Austin lag, fuhren sie an ihr vorbei. Die Gebäude verrieten ihnen jedoch, dass dieses Stück Land besiedelt war, und bald stellten sie fest, dass es sich nicht um die einzige Farm in dieser Gegend handelte. Im Gegensatz zu Ramón de Gamuzana schien es Stephen Austin gelungen zu sein, sein Siedlungsland vollständig zu verteilen, ohne dass er Einzelnen mehr als eine Parzelle hatte zuschieben müssen. Einen Augenblick lang empfand Walther Gewissensbisse, denn auch er zählte zu jenen, die von der ungerechten Verteilung der Mexikaner profitiert hatten.
»Die Leute hier haben das Land besser unter dem Pflug als Gamuzanas Siedler«, warf Thierry in einem Ton ein, als würden Walther und er nicht zu Letzteren zählen.
Walther nickte verbissen. »So sieht es aus. Jetzt bin ich auf ihre Stadt gespannt. Wir haben ja noch keine.«
»Nicht einmal ein Dorf mit einer Kirche«, spottete Thierry.
Auf ihn übten die Farmen der Amerikaner einen noch größeren Reiz aus als auf Walther, denn dort schien es alles zu geben, was er sich selbst wünschte. Das Gefühl verstärkte sich, je näher sie ihrem Ziel kamen. In der Nähe der Stadt hatte man eine Bocksmühle erbaut, deren Flügel sich im Wind drehten, und vor ihr standen mehrere Fuhrwerke. Einige Männer starrten neugierig zu ihnen herüber, und einer von ihnen schwang sich auf ein Pferd und ritt auf sie zu.
»Guten Tag! Ihr kommt sicher aus dem French Settlement!«
»Wir sind Siedler aus Gamuzanas Landlos«, erklärte Walther, ohne auf den Begriff einzugehen, mit dem Austins Leute ihn und seine Nachbarn belegt hatten.
»Dachte ich es mir doch!«, erklärte der andere. »Belcher meinte letztens, dass ihr herkommen würdet. Ihr seid gerade noch rechtzeitig erschienen, denn Austin will Ende der Woche nach Mexico City aufbrechen. Der mexikanischen Regierung muss klargemacht werden, dass sie ihren Verpflichtungen nachkommen muss, wenn sie will, dass wir die unseren einhalten.«
»Ist es bereits so schlimm?«, fragte Walther besorgt.
Der andere zog eine säuerliche Miene. »Aus Spaß geht Austin gewiss nicht auf eine so lange Reise. Aber kommt jetzt! Wir sind gleich in San Felipe. Habt ihr Hunger, oder soll ich euch direkt zu Austin bringen?«
Der Mann leitete sie zu einem Weg, der so tiefe Spurrillen und Schlaglöcher aufwies, dass Walther am liebsten über freies Land gefahren wäre. Doch die Felder, die die Straße säumten, machten dies unmöglich.
Als die Stadt vor ihnen lag, war er im ersten Augenblick enttäuscht. San Felipe de Austin bestand nur aus gut einem Dutzend Holzhäusern, die in schlichter Bauweise errichtet worden waren. An einigen Fronten sah er Schilder, die sowohl auf Englisch wie auch auf Spanisch
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