Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
dass er irgendwann auch Englisch würde lernen müssen, um sich mit den Nachbarn in Stephen Austins Siedlungsgebiet verständigen zu können.
Bei dem Gedanken zog sie die Stirn kraus. Stephen Austin war vor zwei Jahren erneut in die Hauptstadt Mexikos aufgebrochen und noch immer nicht zurückgekehrt. Gerüchten zufolge war er auf Befehl des neuen mexikanischen Präsidenten Santa Ana verhaftet worden. Gisela konnte sich das nicht vorstellen, denn laut ihrem Mann war Austin immer dafür eingetreten, dass die amerikanischen Siedler sich als Bürger Mexikos fühlen und dessen Gesetze achten sollten.
Seufzend, weil diese Gedanken ihr zusätzlich das Herz schwer machten, setzte sie den Sprachunterricht mit ihrem Sohn fort und freute sich darüber, dass er die meisten Wörter einwandfrei wiederholen konnte.
4.
E in weiterer Monat verging, in dem außer Thierry Coureur und seiner Frau Rachel keine Besucher auftauchten. Von Diego Jemelin hieß es, er sei nach San Felipe de Guzmán geritten, um Hernando de Gamuzana aufzusuchen. Auch sonst ereignete sich wenig. Walther ritt einen der Mustangs zu, und den Rest zähmten seine Vaqueros. Vor allem Quique zeigte großes Geschick im Umgang mit den Pferden.
Als alle Pferde zugeritten waren, grinste er Walther an. »Das sind schöne Tiere. Sie werden einen guten Preis erzielen.«
»Das hoffe ich! Ihr habt euch nämlich eine hübsche Prämie verdient!« Walther klopfte Quique, Julio und Lope anerkennend auf die Schulter und sagte sich, dass er froh sein konnte, diese drei Vaqueros zu haben. Er würde bei seiner nächsten Fahrt nach San Felipe de Austin Stoff für neue Halstücher kaufen, die Gisela oder Nizhoni für sie nähen konnten, und jedem von ihnen ein paar Pesos in die Hand drücken.
Noch während Walther darüber nachdachte, stieß Quique ihn an. »Sehen Sie, Señor. Dort vorn kommen Reiter!«
Walther drehte sich um und sah einen Trupp Dragoner in blauen Uniformen und schwarzen Tschakos auf sich zureiten. Ein Offizier auf einem schwarzen Pferd führte sie an. Im Gegensatz zu seinen Männern trug er eine rote Uniform und einen Messinghelm. Er ritt auf die Gruppe um Walther zu und blickte vom Sattel auf sie herab.
»Gehört Ihnen dieses Land?«, fragte er Walther.
Dieser nickte. »Das stimmt!«
»Dann gehören Ihnen auch diese Pferde?«
»Auch das stimmt.«
»Wir werden zwanzig davon mitnehmen! Die Armee Mexikos braucht Pferde!«, fuhr der Offizier fort.
»Wenn Sie mir einen guten Preis machen, können Sie sie haben.«
Der Offizier sah Walther hochmütig an und begann zu lachen. »Wie kommen Sie darauf, dass ich die Pferde bezahlen will? Ich beschlagnahme sie im Namen des mexikanischen Staates.«
»Das können Sie nicht! Diese Pferde sind mein Eigentum«, rief Walther empört.
Doch der Offizier scherte sich nicht darum, sondern gab einigen seiner Männer den Befehl, die Mustangs einzufangen.
Julio, Quique und Lope sahen Walther fragend an, und er begriff, dass die Männer zu den Waffen greifen würden, wenn er es ihnen befahl. Doch ihnen standen mehr als sechzig Soldaten gegenüber, von denen über die Hälfte ihre Karabiner schussbereit in den Händen hielten. Jeder Versuch, sich zu wehren, wäre Selbstmord. Obwohl Walther vor Wut beinahe platzte, gab er seinen Männern ein Zeichen, ruhig zu sein.
Der Offizier grinste höhnisch und wies dann in Richtung der Farm. »Teniente Calientes, Sie bleiben hier und übernehmen das Kommando. Sechs Männer kommen mit mir zur Farm und sehen nach, was für Vorräte wir mitnehmen können!«
»
Si,
Capitán!« Der Leutnant salutierte, während der Hauptmann mit sechs Dragonern losritt.
Da Walther nicht wollte, dass Gisela allein mit diesen Kerlen fertig werden musste, schwang er sich auf sein Pferd und folgte dem Hauptmann. Mehrere Dragoner zielten auf seinen Rücken, doch Calientes befahl ihnen, die Waffen zu senken.
Walther ritt schnell und erreichte die Farm fast gleichzeitig mit den Mexikanern. Deren Anführer warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, drang dann aber in das Wohnhaus ein.
Den ganzen Tag über hatte Gisela sich schwach gefühlt und sich daher hingelegt. An ihrer Stelle erledigte Nizhoni die Hausarbeit. Beide sahen dem mexikanischen Offizier und seinen Männern zuerst neugierig entgegen. Als diese jedoch in den Vorratskeller eindrangen und alles herauszuholen begannen, wich die Neugier der Wut.
»Was soll das?«, fragte Gisela scharf.
Mit einer spöttischen Geste drehte der Offizier sich zu ihr um. »Die
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