Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
einzige Mensch, der ihn so behandelte, wie er es sich wünschte.
»Also gut, ich bring dich zu ihm!« Mit diesen Worten hob Walther den Jungen auf seine Schultern und ging zur Tür.
»Geben Sie acht, dass Josef sich nicht am Türbalken stößt«, warnte Nizhoni und sah zufrieden, dass Walther einen tiefen Bückling machte, damit dem Kind nichts passierte.
3.
A m nächsten Tag wollte Gisela aufstehen und wieder an ihre Arbeit gehen, als wäre nichts geschehen. Nizhoni war klar, dass sie sich von ihr nichts sagen lassen würde, und sah Walther daher auffordernd an.
»Mein Schatz, du solltest noch im Bett bleiben«, begann dieser unbeholfen.
Gisela schüttelte den Kopf. »Ich muss meine Arbeit tun!«
Und darüber vergessen, was geschehen ist, setzte sie im Stillen hinzu.
Doch Walther blieb stur. »Du bist noch nicht gesund! Also wirst du mir gehorchen. Oder willst du bei der Arbeit zusammenbrechen und dann ernsthaft krank werden?«
»Nein, natürlich nicht! Ich …« Gisela brach in Tränen aus. Wenn sie sich hinlegte und nichts tat, würde sie in Gedanken immer wieder jene Augenblicke durchleben, in denen der Schmerz schneidend durch ihren Körper geschossen war und sie ihr Kind verloren hatte.
Nizhoni begriff, was Gisela bewegte, und wies auf Josef. »Vielleicht könnte die Señora draußen im Freien sitzen und auf ihren Sohn aufpassen. Sie müssten ihr nur ein Stück Leinwand als Sonnendach aufspannen.«
Walther nickte. »Das machen Pepe und ich als Erstes. Gisela kann sich dann vor dem Haus auf die Bank setzen. Aber was ist, wenn Josef zu munter wird und weglaufen will?«
»Einem fünfjährigen Jungen werde ich wohl noch folgen und ihn zurückbringen können«, antwortete Gisela entrüstet. Sie schenkte Nizhoni ein dankbares Lächeln, fasste Josef an der Hand und führte ihn nach draußen.
Walther folgte ihr und rief Pepe zu sich. Es dauerte nicht lange, und sie hatten aus mehreren Stangen und einem Stück Leinwand ein Sonnendach aufgebaut, unter dem Gisela sich ausruhen konnte.
»Wir sollten ebenfalls ein Auge auf Josef haben«, sagte Walther zu seinem Knecht.
»Das werden wir, Señor«, versprach Pepe und kitzelte den Jungen am Kinn. Dann wandten Walther und er sich der Brache zu, die ein Maisfeld werden sollte, während Nizhoni im Haus arbeitete und Gisela ihren Sohn auf den Schoß nahm und ihn an sich drückte. Seinen kleinen, festen Körper zu spüren verlieh ihr genug Kraft, sich gegen die Verzweiflung zu stemmen, die sie zu überwältigen drohte.
Nach einer Weile trat Walther neben sie. »Geht es dir gut, mein Schatz?«, fragte er und ärgerte sich im gleichen Moment darüber. Da seine Frau ihr Kind verloren hatte, ging es ihr mit Sicherheit nicht gut.
Gisela bejahte seine Frage trotzdem und sah dann zu, wie Walther zusammen mit Pepe daranging, das Feld abzustecken und es von Büschen und Steinen zu säubern. Im Grunde, sagte sie sich, hatte sie ein erfülltes Leben. Sie besaß ein eigenes Heim und mit Walther einen liebenswerten Mann, der alles tat, damit sie zufrieden leben konnte. Nur eines fehlte ihr zu ihrem vollständigen Glück, und das war ein weiteres Kind. Doch wenn Gott gnädig war, würde Josef irgendwann ein Geschwisterchen bekommen. Bei diesem Gedanken herzte sie den Jungen und ließ dann in ihrer Schwäche zu, dass er sich ihren Armen entwand und über den Hof zu dem neu angelegten Feld lief. Weit kam er jedoch nicht, denn Walther fing ihn ein und brachte ihn zu Gisela zurück.
»In ein paar Jahren kannst du mir beim Roden helfen, mein Sohn. Aber jetzt bleibst du bei deiner Mama und passt auf sie auf, damit sie brav hier sitzen bleibt«, sagte er.
Dann fiel sein Blick auf Gisela. »Du hast nichts zu trinken! Soll ich dir etwas holen?«
Mit empörter Miene stemmte Gisela sich hoch. »Das werde ich wohl noch selbst tun können! Aber da du gerade hier bist, kannst du ebenfalls trinken und auch Pepe etwas bringen.«
Obwohl sie sich so schwindelig fühlte, dass sie kaum glaubte, einen Fuß vor den anderen setzen zu können, ging sie ins Haus. Allerdings musste sie sich nicht selbst um den Trunk für die Männer kümmern, denn das übernahm Nizhoni für sie.
Nachdem Walther wieder an die Arbeit gegangen war, setzte Gisela sich unter ihr Sonnendach und begann, dem Kleinen neue Worte beizubringen. Da in Josefs Umgebung sowohl Deutsch als auch Spanisch und ein wenig Navajo gesprochen wurde, hatte er sich eine Mischsprache angewöhnt, die etwas seltsam klang. Außerdem fand Gisela,
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