Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
und Gisela zu sehr verbunden, um sie einfach verlassen zu können. Und dann war da auch noch Fahles Haar, der sie gegen die mexikanischen Soldaten verteidigt hatte. Wenn sie diese Schuld einmal tilgen wollte, musste sie bei ihm bleiben und ihre Zeit abwarten.
Trotz all dieser Überlegungen genoss Nizhoni den schnellen Ritt und achtete nicht darauf, wie die Zeit verging. Mit einem Mal aber bemerkte sie, dass sich im Süden etwas tat. Sie verhielt das Pferd und blickte angestrengt dorthin, wo ein leichter Staubschleier den Horizont färbte, so fein, dass ein Weißer ihn gewiss nicht bemerkt hätte. Noch während sie spähte, wurde die Staubfahne dichter.
»Entweder ist es eine rasch laufende Herde, oder es sind sehr viele Reiter«, sagte sie zu der Stute, die ebenfalls in die Richtung zu horchen schien, und überlegte. In einem Land, das den Atem des Krieges roch, war es besser, Vorsicht walten zu lassen. Also musste sie herausfinden, was sich dort bewegte. Waren es Reiter, so kamen sie nicht aus der Richtung, aus der Freunde zu erwarten waren.
Nizhoni ritt weiter, schonte aber ihre Stute, weil sie unter Umständen auf dem Rückweg sehr schnell sein musste. Gleichzeitig schlug sie einen Bogen, um sich denjenigen, die den Staub aufwirbelten, von der Seite zu nähern.
Unterwegs entdeckte sie etwas weiter entfernt eine zweite, kleinere Staubwolke in der Richtung, in der San Felipe de Austin liegen musste. Einen Augenblick lang hatte Nizhoni die Angst, mexikanische Soldaten könnten Stephen Austins Texaner besiegt haben und jetzt zu ihrer Farm reiten. Dann aber schüttelte sie wild den Kopf. In dem Falle wäre Fahles Haar längst zurückgekommen oder hätte einen Boten geschickt, um sie zu warnen.
Wahrscheinlicher erschien ihr, dass ein feindlicher Trupp auf dem Weg zur Farm war und Fahles Haar versuchte, diesen einzuholen. Nizhoni versuchte, die Entfernung der beiden Staubwolken zu schätzen, und kam zu dem Ergebnis, dass die aus Richtung San Felipe de Austin noch um etliches weiter weg war als die andere.
Das war nicht gut, denn San Felipe de Austin bedeutete für sie Fahles Haar und damit Hilfe, die andere Richtung jedoch Gefahr. Als diese Staubfahne schon recht nahe war, entdeckte sie ein kleines Wäldchen, das ihr und ihrer Stute Deckung bot. Sie lenkte das Tier hinein, stieg ab und legte ihm die Hand auf die Nüstern. Jetzt kam es ihr zugute, dass der Mustang von Komantschen gezüchtet worden war, denn die Stute wusste, dass sie nun keinen Laut von sich geben durfte. Die auf Nizhoni zukommende Schar tat dies jedoch in vollem Maße. Nizhoni hörte Metall klirren und das Knarren von Sattelleder. Außerdem klangen immer wieder spanische Worte auf.
Vorsichtig schlich sie an den Rand des Wäldchens und spähte hinaus. Die Reiter waren Mexikaner, und sie erkannte in dem Anführer den Capitán wieder, der vor etlichen Monaten die Farm überfallen hatte. Mit überheblicher Miene trabte er an der Spitze seiner Männer und gönnte dem kleinen Wald keinen Blick. Auch seine Soldaten taten es nicht. Ihren Worten zufolge freuten sie sich darauf, die Farmen im French Settlement zu überfallen und dort plündern und schänden zu können.
Nizhonis erster Gedanke war, so rasch wie möglich zur Farm zurückzukehren, Gisela und Josef auf den Wallach zu setzen und zu fliehen. Doch als sie ihre Stute zum anderen Ende des Wäldchens führte, um ungesehen losreiten zu können, fiel ihr Blick auf die zweite Staubwolke. Diese war jetzt schon viel näher als vorher. Trotzdem, sagte sie sich, würde diese Schar die Farm nicht vor Velasquez’ Mexikanern erreichen. Ihr kam eine bessere Idee. Sie musste nur dafür sorgen, dass die Feinde die Farm nicht erreichten. Mit diesem Vorsatz schwang sie sich in den Sattel und ritt an. In einem ausreichenden Abstand überholte sie die Mexikaner und versteckte sich und ihre Stute ein paar Meilen weiter bei einer Furt im Gebüsch. Dann hieß es warten.
Zwischendurch prüfte sie immer wieder die Staubfahnen. Die, von der sie annahm, dass sie von Fahles Haar stammte, war kleiner als die der Mexikaner. Er hatte also weniger Männer bei sich. Das aber würden sein Mut und der seiner Leute wettmachen, hoffte Nizhoni und zog, als der mexikanische Trupp näher kam, ihre Großvaterpistole. Zuerst überlegte sie, auf den Anführer zu schießen. Dafür aber hätte sie die Soldaten zu nahe an sich heranlassen müssen. Wenn ihr Plan gelingen sollte, durfte sie nicht riskieren, dass sie oder ihre Stute verwundet
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