Der weite Himmel: Roman (German Edition)
die Brauen. »Dasselbe könnte ich dir raten. Du fährst schließlich in die große, böse Stadt zurück.«
»Aber es ist meine Stadt. Ich … äh, ich schreib’ dir eine Postkarte, damit du einmal siehst, wie es in der wirklichen Welt aussieht.«
»Tu das.«
»Gut.« Tess wandte sich ab, dann reichte sie den Korb mit einem unterdrückten Fluch an Nate weiter und wirbelte herum, um ihre Schwester zu umarmen. »Ich glaube, ich werde dich tatsächlich vermissen.«
»Ich dich auch.« Willa erwiderte die Umarmung. »Ruf mich an, ja?«
»Ganz bestimmt. Denk daran, ab und zu einmal einen Lippenstift zu benutzen, okay? Und reib dir die Hände mit der Lotion ein, die ich dir dagelassen habe, bevor sie aussehen wie altes Leder.«
»Ich hab’ dich sehr, sehr lieb, Tess.«
»O Gott, ich muß los.« Schluchzend stolperte Tess auf den Jeep zu. »Geh und kastriere ein Kalb oder sonst etwas.«
»Ich war gerade auf dem Weg.« Willas Stimme klang etwas belegt. Sie zog ein Taschentuch hervor und schneuzte sich kräftig die Nase, als der Jeep davonfuhr. »Mach’s gut, Hollywood!«
Als Tess ihr Gepäck am Abflugschalter aufgab, hatte sie sich wieder einigermaßen in der Gewalt. Sie hatte eine geschlagene
Stunde lang leise vor sich hingeweint, und Nate war verständnisvoll genug gewesen, sie gewähren zu lassen.
»Du brauchst nicht bis zum Flugsteig mitzukommen.« Trotzdem hielt sie seine Hand weiterhin fest umklammert.
»Das macht mir nichts aus.«
»Wir bleiben in Verbindung, ja?«
»Natürlich.«
»Vielleicht kannst du mich ja mal übers Wochenende besuchen kommen, dann zeige ich dir Los Angeles.«
»Das läßt sich bestimmt einrichten.«
Nun, er machte es ihr wirklich leicht, dachte Tess. Alles lief wie am Schnürchen. Das Jahr war um, sie hatte erreicht, was sie wollte, nun konnte sie zu ihrem gewohnten Lebensstil zurückkehren.
»Du mußt mich auf dem laufenden halten, Nate, und mir alles über Lily und Willa berichten. Ich werde die beiden furchtbar vermissen.«
Sie blickte sich in der Abflughalle um. Überall geschäftige Menschen, die kamen und gingen. Doch ihre übliche freudige Erregung bei der Aussicht, ein Flugzeug zu besteigen, wollte sich heute nicht einstellen.
»Ich möchte nicht, daß du noch länger wartest.« Tess zwang sich, zu ihm aufzublicken und direkt in diese ruhigen, geduldigen Augen zu sehen. »Wir haben uns bereits verabschiedet. Je länger du bleibst, um so schwerer wird es für uns beide.«
»Es kann überhaupt nicht mehr schwerer werden.« Nate legte ihr die Hände auf die Schultern und strich ihr über die Arme. »Ich liebe dich, Tess. Du bist die erste und einzige Frau für mich. Bleib hier. Heirate mich.«
»Nate, ich …« Liebe dich auch, dachte sie. O Gott. »Ich muß gehen. Du weißt, daß ich nicht hierbleiben kann. Ich muß an meine Arbeit, an meine Karriere denken. Es war nur eine vorübergehende Affäre, das war uns beiden von Anfang an klar.«
»Die Situation kann sich ändern.« Da ihr ihre Gefühle für ihn klar und deutlich im Gesicht geschrieben standen, schüttelte er sie sanft. »Du bringst es ja nicht fertig, mir in die Augen
zu sehen und mir zu sagen, daß du mich nicht liebst, Tess. Jedesmal, wenn du den Ansatz dazu machst, wendest du den Blick ab und hältst doch lieber den Mund.«
»Ich muß los, sonst verpasse ich mein Flugzeug.« Abrupt riß sie sich los und flüchtete.
Sie wußte genau, was sie tat. Ganz genau. Während sie an den verschiedenen Ausgängen vorbeihastete, redete sie sich immer wieder gut zu. Sie war nicht dazu geschaffen, ihr Leben auf einer Pferderanch in Montana zu verbringen. Sie stand am Beginn einer großen Karriere. Wie zur Bestätigung schlug ihr Laptop gegen ihre Hüfte. Sie hatte Ideen für ein neues Drehbuch, mußte an ihrem Roman weiterarbeiten. Sie gehörte nach L. A.
Fluchend drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte zurück, wobei sie die ihr entgegenkommenden Menschen rücksichtslos zur Seite stieß. »Nate?« Als sie seinen Hut auf der abwärts laufenden Rolltreppe sah, verdoppelte sie ihr Tempo. »Nate, so warte doch mal!«
Er war bereits unten angelangt, als sie hastig die Rolltreppe hinunterstürmte. Völlig außer Atem stand sie vor ihm, preßte eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz und sah ihm fest in die Augen. »Ich liebe dich nicht«, sagte sie, ohne zu blinzeln, und bemerkte, daß seine Augen schmal wurden. »Siehst du? Ich kann dir ins Gesicht sehen – und lügen.«
Und mit einem befreiten Lachen
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