Der weite Himmel: Roman (German Edition)
»Es hat sich ein bißchen abgekühlt, und ich glaube, da braut sich was zusammen. Vielleicht kommt endlich der Regen, auf den wir so lange hoffen.«
Willa schaute zum Himmel und schrak alarmiert hoch. Bald würde der Mond nicht mehr zu sehen sein. Sollte Ben Suchtrupps organisiert haben, dann würden die Leute in Kürze blind sein wie die Maulwürfe. Wieder bewegte sie prüfend die Beine. Sie würden sie schon tragen.
Jim tippte mit dem Messer gegen ihre Stiefelspitze. »Ich weiß auch nicht, warum ich ihn skalpiert habe, kam mir eben so in den Sinn. Ich muß dabei wohl an eine Trophäe gedacht haben. Schließlich hängt man sich auch das Geweih eines selbsterlegten Hirsches an die Wand. Ein Stück weiter östlich von hier hab’ ich eine ganze Kiste voller Trophäen vergraben. Du kennst doch die Stelle, an der gegenüber der äußersten Weide drei Pappeln stehen, oder?«
»Ja, ich weiß, wo das ist.« Willa zwang sich, den Blick von dem Messer abzuwenden und ihm in die Augen zu sehen.
»Dann habe ich in einer Nacht all die Kälber abgemurkst. Dachte, das würde die Stadtmädchen das Fürchten lehren, und sie würden sofort das Weite suchen. Aber sie sind geblieben. Hat mir einige Bewunderung abgenötigt und mich ein bißchen zum Nachdenken gebracht, aber ich war immer noch stinksauer auf sie.« Traurig schüttelte er den Kopf, als könnte er sein damaliges Verhalten überhaupt nicht mehr begreifen. »Und ich kam gegen den Trieb zu töten nicht
mehr an, also habe ich diese kleine Anhalterin aufgelesen und mitgenommen. Ich wollte einmal eine Frau umbringen.«
Verlegen befeuchtete er seine Lippen, da er in einem verborgenen Winkel seines Herzens ganz genau wußte, daß er mit seiner kleinen Schwester über derlei Dinge eigentlich nicht sprechen sollte, aber er konnte sich einfach nicht bremsen. »Ich hatte noch nie zuvor eine Frau erledigt. Ursprünglich wollte ich mich ja mit Shelly befassen, weißt du? Mit Zacks Frau.«
»Großer Gott!«
»Sie ist ein hübsches Ding, hat wundervolles Haar. Ich war des öfteren auf Three Rocks, um mit den Jungs zu pokern, da hab’ ich sie gesehen und mir überlegt, was ich wohl mit ihr anstellen könnte. Aber statt ihrer habe ich dann dieses Mädchen mitgenommen und sie direkt vor eurer Eingangstür liegengelassen, um Jack Mercy eine deutliche Lektion zu erteilen. Ach ja, das war ja noch vor den Kälbern«, meinte er träumerisch. »Jetzt fällt es mir wieder ein. Es war vorher. In meinem Kopf geht alles durcheinander, alles bis zu dem Zwischenfall mit Lily. Es war Lily, die meine Ansichten geändert hat. Sie ist meine Schwester, das wurde mir unwiderruflich klar, als JC sie wie ein Stück Dreck behandelt hat. Sie hätte sterben können, wenn ich mich nicht ihrer angenommen hätte, hab’ ich nicht recht?«
»Ja.« Sie würde jetzt nicht schlappmachen, jetzt nicht, schwor sie sich. »Du hast ihr nichts getan.«
»Ich hätte ihr kein Haar gekrümmt.« Als ihm die nähere Bedeutung seiner Worte aufging, lachte er schallend los und klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Kein Haar gekrümmt, im Gegenteil, ich hab’ ihr ihre Haare gelassen. Hast du’s erfaßt? Das war ein guter Witz.« Von einer Sekunde zur anderen schlug seine Stimmung wieder um. Der abrupte Wechsel gefiel Willa überhaupt nicht. »Ich liebe sie, Will. Ich liebe sie und dich und Tess, wie ein Bruder seine Schwestern lieben sollte. Und ich werde immer für euch da sein. Aber ihr müßt zu mir halten. Blut ist nun einmal dicker als Wasser.«
»Was soll ich denn für dich tun, Jim?«
»Wir müssen einen Plan entwerfen, müssen uns eine plausible Geschichte ausdenken. Das Beste wäre, ich würde dich zurückbringen, und wir erzählen den anderen, daß ein Unbekannter dich entführt hat. Du hast ihn vorher noch nie gesehen. Ich bin euch gefolgt. Alles mußte so schnell gehen, daß ich keinen Alarm schlagen konnte. Wir werden behaupten, ich hätte ihn verjagt und dich befreit. Ich werde ein paar Schüsse abgeben.« Liebevoll tätschelte er sein Gewehr. »Er ist in die Berge geflüchtet, und ich konnte dich heil nach Hause bringen. Das klingt glaubhaft, findest du nicht?«
»Könnte klappen. Ich werde sagen, ich hätte sein Gesicht nicht richtig gesehen. Er hat mich geschlagen. Wahrscheinlich habe ich sowieso einen Bluterguß davongetragen.«
»Es tut mir leid, daß ich die Beherrschung verloren habe. Aber die Geschichte hört sich wirklich gut an. Danach können wir weitermachen wie bisher. In ein
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