Der weite Weg nach Hause
Lev rauchte seine Zigarette zu Ende und drückte sie zwischen den staubigen Blüten in der Duftschale aus. Rubys altmodischer Wecker zeigte an, dass es drei Uhr durch war. Der Verkehr auf der Finchley High Road rauschte wie ein zorniger ferner Fluss.
Nach einer Weile nahm Ruby Levs Hand. Sie hielt sie ganz locker, als wiege sie sie in ihrer Handfläche. »Vielen Dank, dass Sie mich heute besucht haben«, sagte sie. »Habe ich Ihnen erzählt, dass ich katholisch erzogen worden bin, von Nonnen in Indien?«
»Ja.«
»Ach ja, natürlich. Nun, manchmal bete ich noch zur Jungfrau Maria. Einfach aus Gewohnheit. Ich tue das an ungewöhnlichen Orten, zum Beispiel im Badezimmer. Ich weiß noch, wie ich, als mein Mann sehr krank war, im Badezimmer unserer Wohnung in Knightsbridge gebetet habe. Die Tapete hatte ein Eisvogelmuster, das ich bis heute vor mir sehe. Eigentlich glaube ich nicht, dass meine Gebete irgendwo ankommen − sie wurden jedenfalls nicht beantwortet, als ich mit den Eisvögeln betete −, aber die Jungfrau Maria war immer ein sehr liebes Wesen mit einem bezaubernden Lächeln. Wenn ich mir heute Abend die Zähne putze, werde ich ein paar ernsthafte Worte mit ihr über Sie reden.«
14
Hopp, hopp ...
Im Lärm und dem tiefen Dunkel der Royal-Court-Theaterbar versuchte Lev angestrengt, unsichtbar zu werden.
Er lehnte an einer Wand. Die Luft, die er zwangsläufig einatmen musste, hatte den überwältigenden Hautgout des Erfolgs. Und Lev spürte, dass es sich bei dem lebhaften Gesumm, das ihn umschwirrte, nicht einfach um unschuldiges, leicht dahingesagtes Geplauder handelte: Es war eine sorgfältig komponierte Konversations- Symphonie , eine Unterhaltungs- Performance , die ein schweigendes, bewunderndes Publikum voraussetzte, das sich stumm im Schatten hielt, so unbeachtet wie Lev in seinem neuen Wildlederjackett und dem absurd teuren Hemd.
Er war zwar zusammen mit Sophie gekommen und hatte sich an der Bar angestellt, um ihr etwas zu trinken zu besorgen, aber dann hatte sie sich ihren Wodka-Tonic gegriffen, Lev stehen gelassen und sich durch das Gedränge geschoben, um nach ihren Freunden zu suchen.
Es war, als hätte sie eine Tür hinter sich zugezogen. Deshalb hatte er beschlossen, nach einer stillen Ecke zu suchen. Er kehrte ihr den Rücken zu, bahnte sich einen Weg von der Bar zu dem Platz an der Wand. Er ließ einige Minuten vergehen, bevor er hochblickte und sich nach ihr umsah.
Er entdeckte sie bei ihrer Freundin Sam Diaz-Morant, die einen ihrer Miniaturhüte trug, einen paillettenbesetzten goldenen Bowler, und deren Lachen immer wieder wie Tamburinrasseln zwischen den Bassklängen der Gesprächs-Symphonie herauszuhören war.
In der plaudernden Gruppe um Sophie und Sam fiel Lev eingroßer, rasierter Schädel auf, der bläulich unter einem Punktstrahler glänzte. Er wusste, wem dieser Kopf gehörte: Howie Preece.
Sophie trug ein neues Kleid, das aussah, als bestünde es aus schimmernden Geistertüchern. Es hatte einen zipfeligen Saum und ein von ihrer rechten Schulter gehaltenes, sehr knappes Oberteil, das ihre vollen Brüste anhob und ihren unwiderstehlichen molligen linken Arm frei ließ, wo Lenny die Eidechse, die für diesen einen Abend Paillettenschmuck trug, mit dem Schwanz Feuer spuckte. So hatte Lev Sophie noch nie gesehen. Seit Beginn seiner Liebesaffäre mit ihr war er ihrer Kleidung verfallen (und empfand manchmal eine verlegene Traurigkeit über die schlichten Blusen und Röcke, die Marina getragen hatte und die er damals so bezaubernd fand), aber dieser Aufzug war das Schärfste, was er je an ihr gesehen hatte. Er wusste, dass Sophie wusste, wie nuttig sie aussah, und dass es ihr egal war. Er wusste, dass sie wusste, wie sexy sie wirkte. Ihr Mund war ein blutrotes Schmollen, ihre dicken Locken leuchteten frech in den neuen Farben Rost und Pflaume. Während Lev sie beobachtete, überkam ihn plötzlich Neid auf Lenny, so irrational das auch war. Er hätte jetzt gern auf Sophies Arm gelegen, vereint mit ihrer duftenden Haut, auf der der Paillettenschwanz paradierte ...
Erfolg. Berühmtheit. Christy hatte einmal zu Lev gesagt: »Heutzutage ist das Leben für die Briten ein Scheißfußballspiel. Früher waren sie nicht so, aber jetzt. Wenn du den Ball nicht richtig ins Netz kriegst, bist du ein Niemand.« Und Lev sah, wie recht Christy hatte. Er wünschte, es gäbe eine andere Luft zum Atmen als diese exklusive, ruhmgeschwängerte, doch während die Minuten dem Beginn des Stücks
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