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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Publikum laut lachte. Sie ließen ihre schicken Kleider in zwei Haufen auf dem glänzenden Holzboden liegen. (Sie waren reich, aber sie schienen keine Kleiderbügel zu besitzen, ließen ihre teuren Sachen einfach fallen, als hätten ihre Körper sich ihrer entledigt.) Die Schranktür blieb geschlossen.
    Die Frau, die Deluda hieß, begann den Mann, der Dicer hieß, zu küssen. Sie lagen in ihren seidenen Roben auf dem Bett und berührten einander. Dann setzte Dicer sich plötzlich auf und sagte zu Deluda, er habe »vergessen, Bunny gute Nacht zu sagen«. Deluda meinte, das sei egal, aber er bestand darauf, dass Bunny sonst schlecht träumen werde. Er unterbrach das, was nach einem Sexvorspiel aussah, und trat von der Bühne ab. Deluda blieb einen Moment lang still liegen, deutlich enttäuscht und ärgerlich, griff dann unterm Bett nach einer versteckten Flasche Gin und nahm einen großen Schluck. Wieder giggelte das Publikum.
    Nach einer Weile kam Dicer zurück. Aber nicht allein. Bei ihm war seine Tochter Bunny, ein Kind von neun oder zehn Jahren. Er setzte Bunny zwischen sich und Deluda aufs Bett. Deluda versteckte ihre Ginflasche. Bunny machte ein schläfriges, verträumtes Gesicht. Dicer erklärte Deluda, Bunny habe Albträume gehabt.
    Deluda seufzte. Aber sie war Bunnys Mutter. Die Eltern, Dicer und Deluda, hatten Bunny zu trösten. Sie begannen ihr aus dem Kopf Märchen zu erzählen: »Es war einmal ein einsamer Wald, darin lebte ein grausames Biest ...« Dicer streichelte ihr Haar. Bald nach dem Beginn von Die Schöne und das Biest steckte Bunny den Daumen in den Mund und schien in Schlaf zu sinken.
    Deluda, die immer noch auf Sex mit Dicer wartete, befahl ihm, Bunny wieder ins Bett zu bringen. Er betrachtete die schlafende Bunny und streichelte ihr Gesicht. Dann hob er sie fast widerwillig hoch und trug sie weg. Deluda wartete auf Dicer und kuschelte sich an ihre Kissen, als handelte es sich um einen Körper neben ihr.
    Dicer kam aus Bunnys Zimmer zurückgerannt. Er küsste Deluda und spielte dann, wie er in verzweifelter Hast mit ihr schlief. Sie drängte ihn, langsamer zu machen. Aber er schien so zu tun, als könne er sie nicht hören: Er war im Innern seines eigenen Kopfes. Seine Augen waren geschlossen. Er nannte Deluda seinen »kleinen Liebling«, sein »ungezogenes Kaninchen«. Die Szene endete damit, dass Dicer brüllte und schrie, als er seinen Höhepunkt erreichte, und dann träge auf den unbefriedigten Körper von Deluda sank, die vorsichtig ihren Arm unter der Last von Dicer hervorzog und nach dem Gin tastete.
    Das Publikum versuchte erneut zu kichern, schien das dann aber unangemessen zu finden und verstummte. Das violette Licht verblasste nach und nach.
    Neben Lev hatte das wippende Bein sich endlich beruhigt, die beringte Hand lag still auf dem fleischigen Schenkel. Lev schaute sich in dem vollbesetzten Theater um, vernahm im Dämmerlicht ein fernes, rumpelndes Geräusch unter sich, das wie eine U-Bahn klang, die aus einem Bahnhof fuhr. Er streckte die Hand aus und streichelte Sophies Arm. Eine Sekunde lang fand er es herrlich beruhigend, dass der Arm sich noch warm anfühlte. Doch dann zuckte Sophie zurück, als hätte das Streicheln sie verletzt oder gekränkt. »Was ist los?«, zischte sie. »Verstehst du die Szene nicht?«
    Lev zog seine Hand zurück. »Ich verstehe«, sagte er und starrte wieder auf den dunklen Raum vor sich und horchte auf den Zug, der sich entfernte, und auf die Beinahstille, die er hinterließ.
    Die nächste Szene fand im Sitzungssaal einer Firma namensPithCo statt. Dicers Chefin, eine schicke, kostümtragende Frau namens Loyala, drängte den Vorstand, bestehend aus geschniegelten jungen Männern, zur Beförderung von Dicer. Sie sagte, Dicer sei »ein Geschäftsmann par excellence , aber auch ein ganz normaler Typ, den man gern zum Freund hätte«. Die jungen Vorstandsmänner sahen gelangweilt aus. Sie schickten Loyala hinaus und begannen, über Dicer zu diskutieren. Aber alle waren mit anderen Dingen beschäftigt. Ihre Handys und Black-Berrys klingelten und piepten die ganze Zeit. Zwei von ihnen konnten sich anscheinend Dicers Namen nicht merken. Wenn sie ihn meinten, sagten sie »Dick«. Doch sie waren in Eile, und so sprachen sich alle bis auf einen für die Beförderung aus, und der war etwas älter als der Rest und hieß Clariton.
    Alle vom PithCo-Vorstand starrten jetzt Clariton an. Der äußerte das, was er »einen persönlichen Zweifel« bezüglich Dicer nannte,

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