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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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entgegentickten, drängten sich immer mehr strahlende, duftumhüllte Menschen in die Bar und machten die Luft noch stickiger mit ihren parfümierten Ausdünstungen. Und Lev musste nicht nur an heutige Filmstars und Sportgrößen mit ihren perfekt modellierten Körpern denken,sondern auch an die einst so schönen, absurd gekleideten Aristokraten eines anderen Zeitalters − an jene Menschen, die sein Vater geschmäht hatte, während er im Baryner Holzhof seine Salami aß, jene Menschen, die den selbstmörderischen Massenzulauf zum Kommunismus verursacht hatten, jene längst gestorbenen Mitglieder des alten Adels, die sich in ihren Juwelen und Pelzen und Fasanenfedern nach vorne drängten, stets nach vorne, in hell erleuchtete Räume, zu Konzerten und Soireen und zehngängigen Banketten, und stets vorbei an den Armen, die für sie Luft waren ...
    Lev nahm einen Schluck Wodka, und das Tonic darin schmeckte wie bittere Orangenmarmelade. Er überlegte, ob er hier wohl rauchen durfte. Er drehte sich um und schaute zum Ausgang. Er stellte sich vor, wie er auf den Sloane Square hinaustrat und zur U-Bahn ging und schweigend mit der Bahn fuhr, bis er endlich wieder in Tufnell Park und in seinem tröstlichen Kinderzimmer war ...
    Er sah, wie Sophie sich jetzt umblickte − suchte sie ihn oder wollte sie nur schauen, welche prominenten Personen gerade eintrafen? Howie Preece schwenkte seinen Schädel ebenfalls herum, und Lev sah, dass es der Dramatiker höchstpersönlich war, der begrüßt wurde, der Autor von Peccadilloes , Andy Portman. Sie umarmten ihn und hängten sich an ihn und er sich an sie, und Lev stellte sich vor, wie Sophie ihn beruhigte, ihm Glück wünschte und sagte, es werde ein brillantes Stück sein, ein Triumph, ein bahnbrechender Augenblick in der Geschichte des britischen Theaters ...
    Lev war müde. Er wusste nicht warum, aber seit Tagen schon brachte ihn diese Müdigkeit halb um, bescherte ihm schlechte Träume, schwarze Gedanken, Gedanken an Marina, das erneute Gefühl orientierungslosen Dahintreibens. »Es kommt wieder«, hatte Ruby Constad gesagt, und sie hatte recht: Das alte Gefühl der Verlorenheit kam aus allen Ecken angeschlichen. Er hatte sich an seiner Arbeit festgehalten, an Sophie, am Rhythmusseiner Tage, am zögerlichen Beginn des englischen Frühlings, aber jetzt, in dieser Bar hier, hätte er sich am liebsten einfach nur hingelegt, um von einer Woge dunklen Schlafs fortgetragen zu werden, um unsichtbar zu werden, sogar für sich selbst. Lev schloss die Augen, doch gerade, als er seinen erschöpften Kopf gegen die harte Wand lehnte, verkündete eine Stimme, die Aufführung von Peccadilloes werde in fünf Minuten beginnen.
    Im Parkett saß Lev, in der fünften oder sechsten Reihe, zwischen Sophie und einem stämmigen Mann mittleren Alters, der nach irgendeinem ekelhaften Rasierwasser stank, diamantenbesetzte Ringe an seinen fetten Fingern trug und einen karamellfarbenen Kaschmirmantel zwischen die Beine geklemmt hatte. Das rechte Bein des Mannes fing jetzt an, dicht neben Lev in einem fort auf und ab zu wippen, so dass sein eigener Sitz zu beben begann. Dieses Zittern fand Lev abstoßend. Er hätte liebend gern eine Hand auf das Bein gelegt, um es anzuhalten.
    Er schaute in die andere Richtung, auf Sophies Profil im Halbdunkel. Er wünschte, das Profil würde sich ihm zuwenden, aber es rührte sich nicht. Das Stück hatte kaum begonnen, da war Sophie schon in Erwartung versunken, erlag schon ihrem Glauben an das Genie Andy Portmans.
    Lev wandte sich der Bühne zu. Violettes Licht fiel auf ein Doppelbett. Anfangs schien es der einzige Gegenstand auf der Bühne zu sein, doch dann wurde in einer düsteren Ecke ein weißer Kleiderschrank sichtbar, auf dem in Schmuckschrift »Ihrer« stand. Schrank und Bett. Bett und Schrank. Schon diese wartenden Gegenstände hatten etwas, das das Publikum loskichern ließ.
    Ein Mann und eine Frau traten auf. Sie waren etwa in Levs Alter, hatten etwas lässig Erfolgverwöhntes und trugen Abendkleidung. Sie setzten sich jeder auf eine Seite des Betts und zogen sich aus und schlüpften in identische kalbfleischfarbene Morgenmäntel aus Seide. Die Frau begann sich das Haar zubürsten. Der Mann blätterte in einer Zeitschrift, die AutoMagnate hieß. Während sie bürsteten und blätterten, redeten sie über den Abend und wie langweilig er gewesen sei und dass alle auf der Party »Arschlöcher« gewesen seien. Sie machten Witze über diese Arschlöcher, über die das

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