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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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−, was immer geschehen ist, Sie müssen unbedingt weiter im GK Ashe arbeiten. Das macht mir die größte Sorge. Dass Sie Ihre Stelle dort aufgeben könnten. Ich glaube, dann wären Sie verloren. Also versprechen Sie mir, dass Sie das nicht tun?«
    Lev nickte. Dann sagte er leise: »Ich habe den Köchen zugeschaut. Habe mir Notizen gemacht. Ich sammle alle Rezepte in einem Notizbuch.«
    »Das ist sehr gut. Sehr gut. Aber Sie müssen in diesem Restaurant bleiben, wo Ihnen GK beim Lernen hilft. In anderen Lokalen werden Sie womöglich wie Scheiße behandelt und lernen gar nichts. Sie müssen diesen Pfad unbedingt weiter verfolgen.«
    Jetzt schwieg Lev. Er hätte Lydia gern erzählt, wie hart es sein würde, zusammen mit Sophie zu arbeiten, sie Tag für Tag zu sehen, ihren Duft in der feuchten Küchenluft einzuatmen,ihren Anweisungen zu folgen, zu sehen, wie sie sich ihren Fußballschal umwickelte, um nach Hause zu fahren, in Howie Preeces Bett ...
    »Lev? Hören Sie überhaupt, was ich sage?«
    »Ja.«
    »Wenn ich in Wien oder Salzburg bin, werde ich Sie anrufen und fragen, was die Köche im GK Ashe gerade zubereiten, und ich hoffe, Sie können mir dann eine Antwort darauf geben.«
    »Bestimmt.«
    »Versprechen Sie es?«
    »Ja. Das verspreche ich.«
    »Gut. Also, ich gehe jetzt. Die U-Bahn ist ganz in der Nähe. Sie erinnern sich? Wenn Sie rauskommen, gleich rechts. Hier ist Kleingeld für die Bahn.«
    Lydia stand auf. Sie legte drei Einpfundmünzen auf den Tisch. Sanft nahm sie ihren Mantel von Levs Schultern. Lev streckte die Hände aus, zog ihr Gesicht heran und küsste sie auf die Wange, setzte die Lippen dabei vorsichtig zwischen die Leberflecken.
    »Lydia«, sagte er, »Sie sind mir eine gute Freundin gewesen. Ich hoffe, Sie werden glücklich. Ich hoffe, Sie führen nun bald das schönste Leben ...«
    »Na ja«, sagte sie, »wenigstens bin ich dann kein ›Müsli‹ mehr. Ich werde ein wenig Würde besitzen. Nicht zu viel, damit sie mir nicht zu Kopf steigt. Gerade genug, um den Kopf aufrecht zu tragen.«
    »Ich weiß, dass Pjotr Greszler gut zu Ihnen sein wird.«
    »Selbstverständlich. Also, leben Sie wohl, Lev. Ich werde Ihnen Postkarten schreiben. Ihnen Bilder von Paris und New York schicken.«
    »Leben Sie wohl, Lydia.«
    Lev sah, wie sie sich vom Tisch entfernte, hörte ihre Schritte, adrett und gleichmäßig wie immer, klick-klack, klick-klack, klick-klack , bis sie aus der Tür und fort war.
    Es war nach eins, als Lev die Treppe zur Wohnung in der Belisha Road hinaufstieg. Er rief laut nach Christy, aber der war nirgends zu sehen. Lev ließ ein Bad einlaufen und blieb so lange im Wasser liegen, bis es fast kalt war. Immer wieder nickte er erschöpft ein. Dann schleppte er sich in sein Zimmer, zog die Vorhänge zu, legte sich ins Bett und schloss die Augen.
    Er träumte von Marina. Es war wieder die schlimme Zeit der angeblichen Affäre zwischen Marina und Prokurator Rivas. Rudi und er waren beim Fliegenfischen im Fluss oberhalb von Auror; es war ein Sommerabend, und sie konnten ganze Wolken von Stechmücken sehen, die, von der untergehenden Sonne beschienen, über dem Wasser schwebten, und Rudi sagte: »Sie leben nur einen Tag. Das habe ich in einer Naturzeitschrift gelesen. Stell dir vor. Es ist später Nachmittag, so wie jetzt, und sie fangen an, total nervös zu werden, und sagen: ›Wo ist verdammt noch mal der Tag geblieben?‹«
    Sie brachen in ihr altes, vertrautes Lachen aus. Sie zogen quietschvergnügt etliche Äschen aus dem Fluss, und dann sahen sie am gegenüberliegenden Ufer eine Gestalt, die in ihrem Angelrevier wilderte. Es war Prokurator Rivas.
    »Scheißkerl«, sagte Rudi. »Wieso bleibt der nicht hinter seinem Schreibtisch sitzen? Ich will seine Beine nicht sehen. Ich dachte, all diese Beamten hören an der Taille auf.«
    »Er ist in unserem Revier«, sagte Lev. »Erklär ihm, er soll abziehen, weiter flussabwärts.«
    Er starrte Rivas an. Der trug einen hinderlichen Mantel, eine Art wattiertes Ölzeug, und das machte seine Bewegungen unbeholfen.
    »Sieh ihn dir an«, sagte Rudi. »Sieh dir diesen jämmerlichen Auftritt an. Wo hat der denn jemals gefischt? Im öffentlichen Trinkbrunnen?«
    Ihr Gelächter hallte über das Wasser, und Rivas hob den Kopf, und Lev sah in seinem Gesicht den Ausdruck blanker Verachtung. Also hörten sie auf zu lachen, und Lev sagte: »Komm, wir gehen weiter flussaufwärts fischen.«
    Sie rollten ihre Schnüre auf, luden sich ihr Angelzeug und die Tasche mit

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