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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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wurde. Er machte sich Tee auf einem Zweiflammenkocher und ging dann mit demBecher gewöhnlich nach draußen, um zu sehen, wie die Sonne hinter dem Pappelwäldchen aufging, und um die frische Luft auf seinem Gesicht zu fühlen.
    Es regnete häufig. Das Gelände um die Wagen war vom Hin und Her der Arbeiterstiefel total matschig. Das 2000 Quadratmeter große schlammige Stück Land wurde von einer zwischen zwei Pfählen durchhängenden Wäscheleine begrenzt, die gewöhnlich mit Handtüchern, billigem Bettzeug, ausgefransten T-Shirts, grauer Unterwäsche dekoriert war, und beherbergte auch einen Müllberg aus Paletten, Kisten, Holzstücken, grauen Rohrleitungsresten, Stahlklammern und Plastikregalen und ein auf Betonklötzen aufgebocktes mobiles Toilettenhäuschen, eng wie eine Telefonzelle. Einmal in der Woche wurde die Toilette geleert und mit einem olivgrünen Desinfektionsmittel aufgefüllt, das in der Nase brannte wie trockener Martini.
    Rauchend und Tee trinkend schlenderte Lev bis zu der Stelle, wo das Gras vom Tau glitzerte, bis zu den Weißdornhecken und einem Feld mit Erdbeerpflanzen, die noch fast ohne Blätter waren. Hinter den Erdbeeren eine sanft ansteigende saftige Wiese, wo Midges Gänse manchmal umherstreiften, schimpften und wie schneeweiße Baisers im Gras lagen. Dahinter dann die Pappeln und der weite Himmel. Wenn Lev in der morgendlichen Stille dort stand, spürte er manchmal, was Vitas gemeint haben mochte − dass die Longmire Farm ganz in Ordnung war, auch mit dem Matsch besser als tausend andere Orte, fast wie ein Stück England aus lang vergangenen Zeiten.
    Doch sein Rücken schmerzte. Nicht nur vom stundenlangen Bücken in den Spargelfeldern, sondern auch von dem Bett, das ihm zugewiesen worden war. Alles in seinem Wohnwagen war alt, zerschlissen, abgenutzt, fleckig. Lev schlief auf einem inzwischen steinharten Schaumgummistück, das über Tag mit einem Knick aufrecht gestellt und vor einem herunterklappbaren Resopaltisch als unförmige Sitzbank verwendet wurde. Der Schaumgummi selbst war mit einem kratzigen braunen Stoffbezogen, auf dem Levs dünnes Nylonbettlaken herumrutschte. Die ganze Nacht juckte Levs Körper, und er wälzte sich hin und her. Sehnsüchtig erinnerte er sich an sein Etagenbett in der Belisha Road und daran, dass ihm beim Abschied von Christy nach Weinen zumute gewesen war.
    Eines Morgens versuchte Lev nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht, Midge Midgham um etwas zu bitten − um eine weiche Woll- oder Steppdecke, die er zwischen Laken und Schaumgummi legen wollte. Aber er wusste, dass Midge nach Belieben taub werden konnte, weshalb es ihn nicht überraschte, dass der Mann sich einfach umdrehte und zum wartenden Traktor ging.
    Midge Midgham. Die chinesischen Jungs hatten ihm den Spitznamen »Dickbauch« verpasst. Wenn die Erntehelfer sich morgens versammelten, Midge seine Anweisungen brüllte und der Anhänger langsam loszockelte, erschien meist ein Lächeln auf den Gesichtern der Mings, und aus diesem Lächeln wurde mitunter ein nicht zu bremsendes Lachen. » Ha-ha-ha-ha! Ha-ha-ha-ha! « Es machte Lev Freude, sie zu beobachten: Sonny und Jimmy Ming, wie sie, über die Furchen gebeugt, vor Vergnügen Tränen in den Augen hatten, während sie mit den Augen Dickbauch auf seinem Traktor folgten, der, den Bauch hinterm Lenkrad qualvoll zusammengefaltet und den dicken Hals hin und her drehend, mit seinen Schweinsäuglein über das Tempo der Stecher wachte.
    »Was ist bloß mit denen?«, fragte Midge manchmal ahnungslos. Der Mischlingshund Whisky mochte wie wild hinter ihnen herkläffen, doch sie beachteten ihn nicht. Dieses Lachen schien ein süßes Gift zu sein. Nichts konnte sie davon abhalten.
    »In China«, sagte Vitas dann als Erklärung, »lachen die Menschen viel mehr.«
    Und sein Freund Jacek, ein Junge mit rosigem Gesicht und blondem Haar, fügte hinzu: »Keine Sorge, Midge. Kein Lachenüber Sie. Vielleicht planen etwas. Planen Whisky kidnappen. In China alle essen Hund!«
    »Na, dann erklär ihnen«, sagte Midge, »dass ich ihnen ihre gottverdammten Augen rausquetsche, wenn sie meinen Hund anrühren.«
    Und so verlief der Morgen, und Levs Welt schrumpfte zusammen auf die graubraunen Furchen, die grünen Stangen, die sich sauber unter dem Messer lösten, auf das Unkraut in den Gräben, auf Sonne oder Regen auf seinem Rücken, auf Dieseldämpfe vom Traktor, die die saubere Luft verpesteten.
    Es gab eine Art Kameradschaft unter dem Trupp hinter dem Traktor. Lev hörte

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