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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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»Wie aufmerksam von Ihnen, Lydia. Jetzt sehe ich Sie genau vor mir, im Hôtel Crillon. Tragen Sie einen der Bademäntel?«
    »Ja, tatsächlich. Aber Sie haben sich doch nie für das interessiert, was ich anhatte oder was darunter war, Lev! Alles, was ich berichten kann, ist also, dass der Mantel sehr bequem ist. So und nun erzählen Sie mir, was Sie empfinden.«
    »Bei dem, was Sie gerade gesagt haben?«
    »Nein. Wegen des Baryner Staudamms.«
    Er brauchte eine Zigarette, fischte sich eine im Halbdunkel und steckte sie sich an. Hinter dem Vorhang schnarchten die Mings.
    Lev inhalierte tief und sagte: »Was soll ich denn empfinden, Lydia? Meine Mutter sagt, sie will sich zusammen mit dem Dorf ertränken lassen ...«
    »Oh«, sagte Lydia und schniefte kurz, »ignorieren Sie das. Diese Art von emotionalem Pessimismus oder pessimistischer Emotionalität ist typisch für unsere ältere Generation! Um Himmels willen ignorieren Sie das komplett.«
    »Na ja, ich denke ...«
    »Sie wird es nicht tun, Lev. Und das wissen Sie. Vielleicht droht sie weiter damit, weil es so schön dramatisch ist, aber sie wird nicht ernst machen. Sie werden sehen. Ihre Mutter wird sich ein neues Leben in Baryn aufbauen, und Sie werden ihr dabei helfen.«
    Lev schwieg. Starrte auf seine von der englischen Sonne gebräunte Hand mit der halbgerauchten Zigarette. Dann sagte er: »Eigentlich weiß ich nicht, wie ich ihr helfen kann, Lydia. Ich weiß nicht, wie ich überhaupt irgendeinem von ihnen helfen kann.«
    »Warten Sie einen Moment«, sagte Lydia. »Ich gehe nur mal nach hinten in das schöne Badezimmer. Ich möchte nicht, dass Pjotr gestört wird.«
    Lev hörte, wie eine schwere Tür geschlossen wurde, stellte sich die im Licht schimmernden hoteleigenen Wasserhähne, Spiegel und Waschbecken vor.
    Als sie wieder am Telefon war, sagte Lydia: »Sind Sie noch dran, Lev? Gut. Also, jetzt hören Sie mir mal zu. Als Allererstes muss man für die bestmögliche neue Unterkunft in Baryn kämpfen. Das ist das Wichtigste.«
    »Ja. Und was dann?«
    Lydia seufzte, sagte: »Immer der Reihe nach, Lev. Kümmern Sie sich zuerst um die Unterbringung. Schicken Sie noch weiter Geld nach Hause?«
    »Ja. Wenn ich kann. Aber ich verdiene jetzt so wenig.«
    »Egal. Sagen Sie Ihrer Mutter, sie soll zu den Ämtern gehen,die für die Umsiedlung zuständig sind. Sagen Sie ihr, sie soll zusammen mit Ihrem Freund Rudolf gehen.«
    »Rudi.«
    »Rudi. Okay. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, versteht der sich doch auf so etwas. Versorgen Sie ihn mit etwas Geld. Schicken Sie ihm fünfzig Pfund und sagen Sie, er soll sie auch benutzen. Diese Wohnungsbaumamtleute sind ganz bestimmt empfänglich , und fünfzig englische Pfund sollten ganz schön weit reichen bei denen. Einige der neuen Wohnungen werden am Fluss liegen. Sehen Sie zu, dass er zwei von denen kriegt, eine für sich und seine Frau, eine für Ihre Familie.«
    »Am Fluss? Viel Fluss wird es da nicht geben, Lydia. Nicht unterhalb der Stadt.«
    »Aber natürlich! Ich dachte, Sie hätten mal mit Ingenieuren zusammengearbeitet. Durch den Damm werden ein Staubecken und ein Wasserfall entstehen. Der Wasserfall wird die Turbinen antreiben. Was denken Sie denn, woher der Strom sonst kommen soll?«
    »Ich weiß. Klar, aber ...«
    »Und wohin wird das Wasser vom Wasserfall laufen? In die Stadt Baryn hinein und am anderen Ende wieder heraus, und das mitten durch die neu geplanten ›Peripheriezonen‹. Und es ist immer noch hübsch, auf Wasser zu schauen. Oder würden Sie gern von Ihrer Wohnung auf eine Fabrikmauer oder den Hintereingang eines Bordells blicken?«
    Und da bekam er eine erste Ahnung von dem Ort, wo er am Ende würde leben müssen. Vor sich sah er eine kleine, aber saubere Bleibe, weiß gestrichen, mit elektrischen Heizungen an den weißen Wänden. Er sah im Geiste, wie der Fluss − noch aufgewirbelt vom Wasserfall − draußen vor dem Fenster vorbeistrudelte.
    »Lev? Hören Sie noch zu? Manchmal finde ich Sie sehr begriffsstutzig. Manchmal weiß ich nicht, wieso ich mir überhaupt die Mühe mache, Ihnen zu helfen.«
    »Da stimme ich zu. Ich weiß nicht, wieso Sie sich die Mühe machen, mir zu helfen. Aber ich bin dankbar. Und keine Sorge, ich habe den Rest der Summe, die Sie mir geliehen haben, nicht vergessen ...«
    »Schicken Sie mir kein Geld mehr. Ich will es nicht. Dieser Crillon-Bademantel, den ich gerade trage, kostet fast 200 Pfund, und Pjotr würde ihn mir kaufen, wenn ich ihn darum bäte. Schicken Sie

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