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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Samosas und Minifleischbällchen, und wir füttern uns gegenseitig. Ich lege kiloweise zu, aber wen kümmert’s? Wir sind doch nichts als Fleisch − vergib mir, Maria, Mutter Gottes. Warum sollten wir nicht noch ein bisschen mehr von uns selbst sein?«
    Jasmina war verheiratet gewesen − eine arrangierte Hinduehe −, aber von ihrem Mann Anand geschieden worden, weil sie ihm keine Kinder gebären konnte. Anand hatte wieder geheiratet und war inzwischen Vater von fünf lebenden Töchtern und einem toten Sohn. Jasmina war jetzt vierzig. Schon sehr langeallein. Hatte nie gedacht, sie könne sich in einen Mann aus dem Westen vergucken. Aber dann reparierte Christy Slane ihren Boiler, und da passierte es. »Hab ihr wahrscheinlich wieder ein bisschen Wärme geschenkt«, sagte er mit einem Grinsen, das er vergeblich zu unterdrücken versuchte. »Hab gemerkt, wie kalt ihr gewesen war.«
    Christys Verhalten gegenüber Jasmina erinnerte Lev an seine eigene Zeit mit Sophie. Wenn Christy Jasmina ein paar Tage nicht sehen konnte, litt er. Er rief dann an, mitten in der Nacht, frühmorgens, im Zehnminutentakt ... oder schickte eine SMS. Ihren Namen brachte er in jedem Gespräch unter, streichelte ihn mit der Stimme: Jas-miena, Jas-miena . Sagte, er könne sich jetzt sogar für Palmers Green erwärmen. Dort wüchsen rosafarbene Magnolien in den Gärten. Indische Musik dringe aus jeder Tür und in die Höfe. Kinder trügen saubere weiße Söckchen.
    »Natürlich passiert da auch eine Menge Drogenscheiße«, sagte er, »und Jasmina hatte schon zwei Einbrüche, aber das ist Standard in ganz London. Und du solltest erst mal Jasminas Wohnzimmer sehen. Das ist echt ein Ding. Die Farben in dem Raum reichen bis in meine Träume.«
    Wie Lydia vorgeschlagen hatte, schickte Lev Rudi fünfzig Pfund und wies ihn an, damit das Baryner Umsiedlungsamt zu bestechen. Aber Lora rief weinend an und sagte, Rudi liege im Bett, schon seit 13 Tagen, lese alte Zeitschriften und starre an die Wand.
    »Wenn er nicht bald aufsteht, wird er sterben, Lev«, schluchzte Lora. »Was soll ich bloß machen, wenn er das Bett nicht verlassen will?«
    Lev schwieg. Er dachte daran, wie sehr er sich stets auf Rudi verlassen hatte, dass er nie von Rudi im Stich gelassen worden war. Ihm wurde bewusst, dass er irgendwie zu glauben schien, es werde ewig so bleiben ...
    Lev holte tief Luft und sagte: »Ich habe einen Plan, Lora. Aber ich muss noch eine weite Strecke gehen. Es hat mit Geld zu tun. Auch mit anderen Dingen. Du musst mir einfach vertrauen.«
    »Was für einen Plan?«
    »Ein Plan dafür, euer Leben wieder in Gang zu bringen − später, in Baryn. Aber jemand muss zwei Wohnungen besorgen, eine für dich und Rudi und eine für Ina und Maya. Kannst du zu diesem Wohnungsamt gehen?«
    »Ich versuche es. Aber ich habe viel zu tun, Lev. Eine Menge Leute kommen jetzt wegen Horoskopen. Sie wollen wissen, ob sie überhaupt noch eine Zukunft haben. Ich lese jetzt auch aus der Hand.«
    »Gut, Lora.«
    »Rudi sagt, es ist unredlich, Geld von den Leuten zu nehmen, um ihnen dann zu sagen, dass es keine Gewissheiten gibt.«
    »Nicht, wenn es sie tröstet und ihnen hilft weiterzumachen.«
    Er hörte eine Stimme im Hintergrund. Rudi, der Lora anbrüllte, sie solle aufhören zu telefonieren: Das sei Geldverschwendung.
    »Ich lege besser auf«, sagte sie.
    »Nein«, sagte Lev. »Gib mir Rudi.«
    Ein Streit zwischen ihnen. Rudi wollte mit niemandem reden. Lora flehte ihn an: »Sprich mit Lev.« Schließlich ein Fluch, als der Hörer fallengelassen, dann wieder aufgenommen wurde, dann Rudis müde Stimme: »Lev, ich hab nichts zu sagen, Kumpel. Tut mir leid.«
    »Hast du das Geld bekommen, Rudi?«
    »Ja. Ich kann nicht nach Baryn. Der Tschewi ist kranker als ich.«
    »Okay. Wie sind wir nach Baryn gekommen, bevor du den Tschewi hattest?«
    »Was?«
    »Wie sind wir früher nach Baryn gekommen?«
    »Weißt du doch. Scheißfahrrad. Mitten im gottverdammten kalten Winter. Hat uns das Gesicht weggefroren. Das mach ich nie mehr.«
    »Jetzt ist nicht Winter, Rudi.«
    »Doch. Hier ist Winter! In meinem gottverdammten Herzen ist Winter. Hast du wahrscheinlich nicht kapiert, Lev, weil du in London mit irgendeiner männermordenden englischen Tusse rummachst, die dich wie Katzenfutter behandelt. Aber hier sind wir erledigt. Allesamt. Keine Arbeit. Kein Haus. Kein Transportmittel. Kein Geld. Wir sind tot. Kapiert? Wir sind scheißmausetot, verdammt!«
    Der Hörer wurde aufgeknallt. Lev stand in

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