Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Ihm fiel ein, dass GK einmal gesagt hatte: »Das esse ich immer zum Frühstück. Wenn es sein muss, hält es den ganzen Tag vor.«
    Aus einer fleckigen blauen Kanne schenkte Midge Tee aus, so stark, dass er fast schwarz war. Whisky drehte sich in seinem Korb im Kreis und legte sich wieder hin. Draußen wärmte die Sonne schon.
    »Vorhersage war gut«, sagte Midge und starrte aus dem Fenster. »Ich glaube, wir haben Glück mit dem Wetter. Könnten heute und morgen vielleicht neun Stunden oder mehr arbeiten. Hart für euch, diese langen Tage, aber den Jungs scheint das nichts auszumachen. Vitas und sein Trupp, die können ein bisschen stinkig werden, aber den Mings muss man es lassen: Hab sie noch nie anders als fröhlich gesehen. Du?«
    »Nein«, sagte Lev.
    »Muss ein Trick bei sein. Ich bin nie so gewesen. Wünschte, ich wäre es. Immer lachen und Spaß machen. Immerzu grinsen wie die Honigkuchenpferde. Wüsste gern ihr Geheimnis.«
    »Na ja ...« sagte Lev.
    »Ja?«
    »Ich denke, in England fühlen sie sich mehr ... frei als in China. Und diese Freiheit gibt ihnen Fröhlichkeit.«
    »Meinst du?« Midge schien eine ganze Weile darüber nachzudenken. Dann sagte er: »Wir halten unser Leben doch nie für ›frei‹, oder? Wir halten es für eine einzige lange Schicht. Wenn du mich fragen würdest, was ich unter Freiheit verstehe, wüsste ich im Grunde nicht, was ich antworten soll. Aber vielleicht halten wir in diesem Land eine ganze Menge für selbstverständlich. Keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte Donna deshalb die Nase voll von mir: Ich hab nie viel Ahnung von irgendwas gehabt. Hab immer zu ihr gesagt: ›Frag mich nicht, Mädel.Brauchst mich gar nicht zu fragen, weil ich von nichts eine Ahnung habe. Nur vom Nobelfräulein. Das kenn ich genau. All seine Launen, alles, was es mag und was es nicht mag. Deshalb kann ich auch davon leben. Aber mehr weiß ich wirklich nicht.‹«
    Midge beendete sein Frühstück und nahm das Hauptbuch von dem Bord, wo während der kurzen Donna-Zeit vielleicht Gläser oder Porzellan gestanden hatten, sich jetzt aber Maschinenkataloge, Illustrierte und Zeitungen, alte Versandtaschen, Karten, kaputte Kulis, Gartenscheren und Knäuel zum Aufbinden von Pflanzen stapelten. Er setzte seine Lesebrille auf und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf sein eigenes unleserliches Geschreibsel.
    »Sieht so aus, als schuldete ich dir 133 Pfund. Vier Extrastunden im Kühlraum diese Woche. Stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Schade, dass du nicht bis zur Obsternte bleiben kannst. Wir machen auch › Pick Your Own ‹ an den Wochenenden.«
    Pick Your Own .
    Lev musste an Lydia denken, die diese Wörter durch das Busfenster gesehen und zugegeben hatte, dass sie sie nicht verstand.
    »Was ist das, Midge?« sagte er jetzt.
    »Pick your own fruit«, sagte Midge. »Für Selbstpflücker. Wenn ich die Menschen auf ein Erdbeerfeld loslasse. An schönen Tagen kommen sie in Scharen. Man weiß nie, wen man da treffen kann.«
    Selbstpflücker .
    Lev lächelte. Er malte sich aus, wie das Lachen von Frauen in hellen Sommerkleidern die Stille der Longmire Farm erschütterte. »Das ist gut, Midge«, sagte er. »Vielleicht triffst du jemand Neues dieses Jahr.«
    »Wer weiß? Aber lohnt es sich überhaupt? Mannomann. Der ganze Ärger. Vielleicht sollte ich lieber allein bleiben, nur ich und der Hund.«
    Midge ging hinaus und kam mit Levs Geld in einem Umschlag zurück.
    »Ich hab 135 draus gemacht«, sagte er. Hab kein Kleingeld.«
    »Ich gebe dir Wechselgeld?«
    »Nein. Das behältst du. Du hast es verdient, ist nur recht und billig. Tut mir leid, dich zu verlieren.«
    Halb wäre er am liebsten einfach verschwunden, ohne den Mings Lebewohl zu sagen: Zuneigung und Verlegenheit.
    Aber als sie sahen, wie er seine Sachen packte, kamen sie zu ihm herüber und blickten ihn traurig an.
    »Rev, warum verrässt du?«
    »Rev. Du hasst uns jetzt?«
    »Wir dich nicht wehtun, Rev ...«
    »Du böse Stimmung, Rev. Wir sorgen dich. Mehr nicht.«
    Er streckte ihnen die Hände hin. Sie kamen zu ihm, und er zog sie an sich, wie Kinder. Er sagte, er sei dankbar, dass sie für ihn gesorgt hatten, dass er sie nie vergessen werde.
    Sie klammerten sich einen Moment lang aneinander, alle drei. Dann hörten sie das Tuten von Midges Range Rover, das die Mings zu den Spargelfeldern rief. Sie nahmen ihre alte Segeltuchtasche, in der ihr Mittagessen war, zogen ihre Stiefel an und zottelten los, hinaus in die Sonne. Bevor sie beim Auto waren, drehten sie sich

Weitere Kostenlose Bücher