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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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seinem Zimmer und starrte hinaus auf die geflickten, schiefen Dächer von Tufnell Park und den von Kondensstreifen gemusterten Himmel. Allein die Vorstellung, Rudi könne sterben, löste Panik in ihm aus.
    Er ließ ein paar Minuten verstreichen, bevor er wieder anrief. Lora sagte, sie erwarte einen Kunden.
    »Du wirst nicht lange brauchen«, sagte er. »Fahr einfach nach Baryn und regele das mit den Wohnungen.«
    »Ich versuche es, Lev. Aber das einzige Einkommen, das wir jetzt haben, stammt von den Horoskopen und der Handleserei. Ich muss unbedingt hier sein.«
    »Du brauchst doch nur einen Vormittag. Nimm den frühen Bus. Bitte tu es. Überlass mir den Rest.«
    Überlass mir den Rest .
    Wie bombastisch das klang! Wichtigtuerei eines Angebers, absurd zuversichtlich. Und es hatte auch den Beigeschmack einer Lüge: der Lüge garantierter Gewissheit. Und es gab keine Gewissheit, nur seinen wilden Traum von dem, was er seine große Idee nannte, die auf nichts als Hoffnung gegründet war. Lev verfluchte sich dafür, dass er sie Lora gegenüber erwähnt hatte,hörte Rudi schon sagen: »Und, was gedenkt er zu tun? Seinen Scheißfinger in den Damm stecken und das Wasser zurückhalten oder was?«
    An einem Montagnachmittag ging Lev zu der Verabredung, die er sich bei GK Ashe hatte erbetteln müssen.
    »Ich nehme dich nicht wieder, Lev«, hatte GK am Telefon geknurrt. »Ich habe dich ersetzt. Kapiert?«
    »Ich bitte nicht um meinen Job, GK, ich schwöre. Habe jetzt Arbeit in einem Restaurant in Highgate. Schwöre beim Leben meiner Tochter.«
    »Also gut. Was willst du dann?«
    »Eine Stunde von Ihrer Zeit. Ich brauche Rat, Information wegen einer Idee , die ich habe. Eine Stunde von Ihrer Zeit. Bitte, Chef.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Dann sagte GK: »Eine Stunde, mehr nicht. Nur, weil ich ein goldenes Herz habe. Komm um drei.«
    Sie setzten sich an den üblichen Tisch, neben Damians Bar, und der Geruch des Lokals weckte in ihm Gefühle vergangener Qualen, vergangenen Glücks. Waldo, der ihnen Kaffee brachte, bedachte Lev mit einem schmalen, mitleidigen Lächeln.
    Lev legte sein Notizheft vor sich auf den Tisch und öffnete es. GK beobachteten ihn mit seinen blauen Augen. Lev fühlte sich wie in einem Goldfischglas. Mit zitternden Händen hielt er die zwei aufgeklappten Seiten. Er holte tief Luft. Jetzt war es so weit, und er musste das Ding , das bis zu diesem Augenblick nur in seinem Gehirn existierte, real werden lassen. Er musste sich sehr anstrengen, um mit sicherer Stimme zu sprechen.
    »Das ist sie«, sagte er. »Das ist meine Idee . Ich werde mein eigenes Restaurant eröffnen.«
    Lev hielt inne. Er schluckte. Wartete auf GKs verächtlichen oder ungläubigen Blick, aber er kam nicht. Also nahm er all seine Kraft zusammen und fuhr mit festerer Stimme fort: »MeinRestaurant wird in der Stadt Baryn sein, wo es neuen Wasserkraftstrom geben wird. Ich glaube, in der Folge werden viele Unternehmen in diese Stadt kommen, deshalb glaube ich, für mein Restaurant wird die Zeit richtig sein.«
    Wieder wartete er, blickte GK ins Gesicht. Bestimmt folgte jetzt gleich die Abfuhr. Aber GK sagte nur: »Dein Englisch ist besser geworden.«
    Lev blätterte in seinem Notizheft, versuchte, aus all den optimistischen Worten, die er darin festgehalten hatte, Mut zu schöpfen. »Mein Plan ist, ich starte mit kleinem Raum. Vielleicht vierzig Plätze. Vielleicht fünfzig, Maximum. Ich werde Koch und Besitzer sein. Ich werde meinen Leuten Essen geben, das sie noch nie hatten. Ich meine nicht wie hier im GK Ashe. Ich weiß, ich könnte nie ...«
    »Wieso nicht wie hier?«
    »Sie haben Jahre der Übung und Arbeit, Chef. Ein großes Talent. Ich könnte nie ...«
    »Warum sich kein hohes Ziel setzen? Du sagst ›Essen, das sie noch nie hatten‹. Wenn es sich um die Gegend eines expandierenden neuen Kapitalismus handelt, wird es da jede Menge Restaurants geben, ehe du überhaupt beurre noisette sagen kannst. Wie machst du deins also zum Besten?«
    Lev starrte ihn mit offenem Mund an. Was ihm aber schon jetzt gefiel − was sein Herz vor Freude hüpfen ließ −, war, dass GK ihn ernst nahm.
    »Chef«, sagte er, »natürlich will ich das. Ich will, dass meins das beste ist. Aber in meinem Land sind die meisten Menschen noch arm. Sie können sich keine Haute Cuisine leisten.«
    »Okay. Was wirst du dann also kochen?«
    »Chef ...«
    »Einfache Frage. Was wirst du kochen?«
    Lev blickte auf seinen Berg von Rezepten, von denen die meisten von

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