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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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begriff, dass aus billigen Lammhachsen ein saftiges Kleftiko wurde − jenes Gericht, das seinen Namen von den kleftes hatte, den Diebesbanden, die um 1800 gegen die türkische Herrschaft im eigenen Land gekämpft hatten −, wenn man sie langsam mit Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten und Wein schmorte; dass die aufgeschlitzten Garnelen auf dem Holzkohlegrill wie Knallkörper aufbrechen mussten, um ihre Schmetterlingsform zu bekommen; dass Olivenöl − als eine Art Segnung − über alles geträufelt wurde ...
    »Du hast Augen, Lev«, sagte Panno eines Abends zu ihm, als die Küche schloss. »Das habe ich gesehen. Aber es überrascht mich. Es gibt nicht viele aus deinem Land, die sich für eine gute Küche interessieren.«
    »Nein«, sagte Lev. »Das ist, weil wir sechzig Jahre kommunistisches Essen gegessen haben. Aber jetzt ändert es sich.«
    Wenn Lev im Dunkeln von Pannos Taverne nach Hause lief, nahm er häufig den Weg durch die Swains Lane und am Highgate-Friedhof vorbei, der gegen Unbefugte und Schänder jüdischer Gräber verrammelt und verriegelt war. Christy hatte ihmerzählt, dass Karl Marx nach seiner »langen, schlaflosen Nacht des Exils« hier begraben wurde. Lev überlegte, ob er sich wohl eines Tages vor den Grabstein stellen und den darunterliegenden Knochen erzählen würde, dass oberhalb von Auror ein Mann ruhte, der bis zum letzten Atemzug an den alten marxistischen Ideen festgehalten hatte. Dann würde er hinzufügen: »Aber noch ein Jahr, Karl, und die Gräber werden viele Meter unter Wasser liegen. Und wer weiß, wohin ihre Bewohner umgebettet werden?«
    Zwischen den staubigen Bäumen am Rande des Friedhofs lagen Mülltüten, Autoreifen, ein kaputtes Kinderfahrrad, und manchmal, gegen ein Uhr früh, hörte Lev Geräusche aus dem verwilderten Gebüsch. Einmal schoss direkt vor ihm eine Katze blitzschnell wie ein Gespenst zwischen den Gitterstäben hindurch. Ein andermal blieb er stehen, horchte, vernahm ein Klagen, das von Katzen oder Menschen stammen konnte, es war schwer zu sagen.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo die Wurzeln der Platanen schon den Gehsteig aufbrachen, parkten zwei uralte Campingwagen. Die zugezogenen Vorhänge verbargen wer weiß was für Szenen von Leidenschaft oder Kummer. Die Wohnwagen bewegten sich nie. Die Vorhänge wurden nie aufgezogen. Manchmal standen Müllsäcke neben ihnen im Rinnstein. Ziemlich häufig sah Lev Erbrochenes an den Rädern kleben oder Urinpfützen, die sich zwischen den Rissen im Gehsteig ausbreiteten. Eines Nachts hielt dort ein Streifenwagen mit langsam kreisendem Blaulicht, aber das Auto war leer, und die Wohnwagen waren geschlossen und so still wie immer.
    Lev genoss den einsamen Heimweg. Mittlerweile waren die Nächte warm. Sie erinnerten ihn an jene ersten Nächte vor fast einem Jahr, als er in England angekommen war. Körperlich erschöpft von der Schicht bei Panno, drehte und wendete er auf dem Heimweg im Geiste die große Idee , die ihm, seit er wieder in London war, immer realistischer erschien. Er beglückwünschtesich zu den Fortschritten, die er schon gemacht hatte, und fragte sich, wohin er wohl noch gelangen würde ...
    In der Belisha Road angekommen, kochte er sich einen Tee, saß träumend am Fenster und ging erst zum Schlafen in sein Zimmer, wenn er merkte, dass sein Kopf wegzusacken drohte. Oder blieb, wenn Christy da war, sitzen und unterhielt sich so lange mit ihm, bis sie beide in ihren Sesseln schnarchten.
    Eines Nachts sagte Christy zu Lev: »Irgendwas beschäftigt dich, Lev, das sehe ich dir an. Willst du es mir erzählen?«
    »Ja«, sagte Lev. »Bald erzähle ich dir, Christy. Wenn mir alles mehr klar ist.«
    »Na schön«, sagte Christy. »Aber übrigens, Iren können Geheimnisse gut für sich behalten. Vielleicht, weil unsere Köpfe damit so vollgestopft sind. Meine Ma sagte immer: ›Wenn Wände in unsere Köpfe gucken könnten, würde das Haus zusammenfallen.‹«
    Meistens redete Christy in diesen Nächten über Jasmina: über die makellose Farbe von Jasminas Haut und ihr nach Mandelöl duftendes, glänzendes Haar, darüber, wie verblüffend der blutrote Lack auf ihren Fußnägeln war, wie sexy ihr piekfeiner indischer Akzent klang. Lev hatte sie noch nicht gesehen, glaubte aber allmählich, er kenne sie schon. »Genau wie du«, sagte Christy, »ist sie verliebt ins Kochen. Ich esse ihr Gurken-Minze- Raita zum Frühstück, kleckse es auf meine Weetabix. Manchmal liegen wir im Bett, und sie bringt winzigkleine

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