Der weite Weg nach Hause
starrte die Männer an. Beide drehten sich zu ihr um. Lev sah, dass ihr Haar kürzer und wirrer und ihr Gesicht schmaler war, als er es in Erinnerung hatte. Selbst aus dieser Entfernung glaubte er, ihren Duft zu ahnen, jenen Duft, der immer noch eine überwältigende Macht auf ihn ausübte. Er schaute weg und begann, seine Zettel einzusammeln.
»Nichts ist los«, sagte GK. »Lev hat nur gerade Ideenklau betrieben. Er wird sein eigenes Lokal aufmachen.«
Sophie stand vor Staunen der Mund offen. Lev konnte sie denken hören: Er ist doch nichts, er ist niemand. Wie kann ein Niemand sein eigenes Lokal aufmachen?
»Sein eigenes Restaurant?«
»Ja. In seinem eigenen Land.«
Lev schaute sie nicht an, konnte aber spüren, wie ihre Anspannung nachließ. In seinem eigenen Land. Dann war ja alles in Ordnung. In einem weit entfernten Land ...
Lev fand, er sollte jetzt aufstehen, GK die Hand schütteln und auf der Stelle gehen, aber irgendein störrischer innerer Trotz beharrte auf dem Recht, zu bleiben, wo er war.
»So«, sagte Sophie zu Lev, »du hast also beschlossen zurückzukehren?«
Er neigte den Kopf. Diese winzige Bewegung hätte als Nicken gelten können. Aber er sah, dass beide, Sophie und GK, darauf warteten, dass er mit ihr sprach. Er wollte nicht mit ihr sprechen. Er dachte: Jedes Gespräch mit ihr ist jetzt so, als würde man versuchen, aus einem leeren Fass den Bodensatz, den Unrat zu kratzen − und dabei beschädigt man das Fass.
Beide starrten ihn an, aber weder öffnete er den Mund, noch ließ er den Blick in ihre Richtung wandern. Und sie schien zu begreifen, dass er ihr schon alles an Antwort gegeben hatte, was sie erhalten würde. Während er sein Notizheft umklammerte und sah, dass seine Knöchel ganz weiß dabei wurden, verschwand sie wieder in die Küche.
GK wartete einen Augenblick, sagte dann ruhig: »Preece macht ihr das Leben ganz schön schwer. Aber über ihn kommen eine Menge wichtiger Leute und futtern aus meinem Trog, wer bin ich also, mich zu beklagen? Das ist wohl der Lauf der schlechten Welt.«
»Ja«, sagte Lev zustimmend. »Das ist der Lauf der schlechten Welt, Chef.«
Er merkte, wie er zitterte. Er trank einen Schluck von dem kalten Kaffee. Er war in einer Art Schockzustand, wusste abernicht, was ihn stärker aufgewühlt hatte, GKs unerwartete, erregende Unterstützung für seine Idee oder das unerwartete, quälende Auftauchen von Sophie. Er begehrte sie immer noch, und das war die ganze bittere Wahrheit. Allein ihr Anblick weckte in ihm die Sehnsucht, mit ihr zu vögeln. Und er ahnte, dass er sich, bis weit in die Zukunft hinein, an sie erinnern würde − an ihre Stimme, ihren Geruch, ihre Kleider, ihr Lachen, ihre Grübchenwangen, ihre vollen Brüste, ihre Tätowierung, ihren Arsch, ihre salzige Möse − und sie immer noch begehren würde. Als er sich vorstellte, wie sie mit Howie Preece schlief, merkte er, wie er in eine tranceartige Verzweiflung sank.
Es dauerte eine Weile, bis Lev Jasmina kennenlernen durfte.
»Sie ist ein sehr schamhafter Mensch«, erklärte Christy. »Es wäre ihr peinlich, bei mir in der Belisha Road zu schlafen, während du in Frankies Zimmer bist.«
»Ja? Möchtest du, dass ich wegbleibe, Christy?«
»Nein, ganz und gar nicht, Kumpel. Es ist nicht nur das. Ich glaube, sie hat auch Angst vor Angela, davor, dass sie in der Wohnung auf einen Rest Angela stößt. Oder dass Angela aufkreuzen und uns das Bett unterm Hintern wegziehen könnte!«
Dann, an einem warmen, trockenen Sonntagabend im Juni, lud Jasmina Lev zu sich nach Hause ein. Sie fuhren in Christys Lieferwagen nach Palmers Green, und während der ganzen Fahrt hüpfte und klapperte sein Klempnerwerkzeug, als würde hinter ihnen ein Kinderorchester die Instrumente stimmen. »Schnauze!«, brüllte Christy sein Orchester mehrmals an. »Kann mich ja gar nicht fahren hören.« Und als mitten auf der North Circular Road ein Schraubenschlüssel zwischen den Sitzen nach vorne flog und gegen den Schaltknüppel knallte, sagte Christy: »Allmächtiger, hast du das gesehen? Ich hab mein Werkzeug nie in Ordnung halten können. Ich schaff es einfach nicht.«
Schließlich bogen sie in eine ruhige Straße mit niedrigenDoppelhaushälften, Erkerfenstern und gepflegten Vorgärten. Christy fuhr langsamer, sagte, ohne den Kopf zu drehen: »Siehst du, wie die Netzgardinen zittern? Jeder weiß hier, was der andere macht. Schlimmer als Limerick. Am Anfang, als ich Jasmina besuchen kam, war ich ein Strolch für
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