Der weite Weg nach Hause
Heimatadresse, Beruf, Adresse in Großbritannien, Beschäftigung in Großbritannien und sämtliche anderen relevanten Daten für den erbetenen Termin. Und vergessen Sie bitte nicht, dass alle Anfragen schriftlich eingereicht werden müssen, nicht per E-Mail. E-Mail-Anfragen akzeptieren wir unter gar keinen Umständen.«
»Liegt das daran, dass Sie keinen Internetanschluss haben?«, sagte Lev.
»Nein. Selbstverständlich haben wir Internetanschluss, aber E-Mail-Anfragen gelten als inakzeptabel.«
»Wieso?«
Jetzt starrte das Mädchen Lev mit unverhohlener Feindseligkeit an. »Das ist Botschaftspolitik«, sagte sie. »Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
»Ach so, Botschaftspolitik«, sagte Lev. »Aber Sie sagen, ich kann an den Botschafter schreiben?«
»Und erwähnen Sie die Art Ihres Unternehmens, Ihren Namen, Heimatadresse, Adresse in Großbritannien ...«
»Und die Tageszeit vermutlich«, sagte Lev.
»Wie bitte? ... Nein, leg nicht auf, Karli, ich muss noch mit dir über gestern Abend reden ... Was sagten Sie?«
»Schon gut«, sagte Lev. »Schon gut.«
Er stand auf und ging hinaus. Die Haustür war schwer, und als sie sich geräuschvoll hinter ihm schloss, verschaffte ihm das einen Moment unerwarteter Befriedigung. Er stand in der Sonne und rauchte. Die Flagge seines Landes hing leblos an einem weißen Pfosten über ihm. Kein Windhauch, der sie in Bewegung setzte.
Er lief los. Er wusste, wohin er ging. Plötzlich wollte er ihn noch einmal erleben, jenen lang vergangenen Tag der Ankunft in dieser Stadt, an dem er sich mit Ahmeds Prospekten in der Tragetasche durch die glühende Hitze geschleppt hatte. Als könnte ihn die In-situ-Erinnerung, das geradezu körperliche Nacherleben, beruhigen, dass er, wenn er es bis hierhin geschafft hatte, ganz gewiss auch fähig sein würde, den großen Traum von seiner Zukunft zu verwirklichen.
Und da war Ahmed schon: stand in seinem hell erleuchteten Kebabladen und säuberte den Fleischspieß. Sein buschiger, gewichster Bart glänzte, sein Leibesumfang war immer noch beeindruckend, und seine Unterarme schimmerten ölig.
»Ahmed.«
Der Araber drehte sich um. Lev lächelte und sah nach wenigen Sekunden, dass Ahmed ihn erkannte, denn er wischte sich die mächtige Pranke an der Schürze ab und streckte sie ihm über die Theke entgegen.
»He!«, sagte er. »Einer meiner Prospektemänner, stimmt’s?«
»Das stimmt. Lev.«
»Genau. Lev. Jetzt weiß ich wieder. Wie steht’s? Du siehst flott aus. Hast du eine gute Arbeit?«
»Ja. Ich arbeite in Highgate. Griechisches Restaurant.«
»Griechisch? Allah! Hüte dich vor Griechen! Kennst du das Sprichwort? Aber bestimmt besser als für Ahmed arbeiten, was? Besseres Geld?«
»Ja, es ist okay. Aber ich habe eine Zeitlang für GK Ashe gearbeitet, und das war ...«
»GK Ashe? Dieser reiche Ganove? Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
»Warum bist du weg von ihm? Lass mich raten. Er hat deine Leber in der Pfanne gebrutzelt?«
»Nein, ich hatte ... was man ... Frauenprobleme nennt.«
Ahmed schickte einen Blick aus seinen braunen Augen zum stets wachsamen Himmel, stellte schließlich zwei Untertassenauf den Tresen. »Dann lieber einen Kaffee zum Nüchternwerden«, sagte er. »Frauenprobleme machen einen Mann verrückt.«
Lev blickte sich in dem kleinen Lokal um. Es war leer an diesem Vormittag, aber genauso heiß und grell wie im vorangegangenen Sommer. Ihm fiel jedoch auf, dass der Boden gewischt werden müsste, und am Getränkekühlschrank, aus dem die grüne Dose mit dem Wasser stammte, das er damals getrunken hatte, war ein Zettel befestigt: Leider kaputt. Bald repariert. So Allah will.
»Wie läuft es bei dir, Ahmed?«, fragte er.
Ahmed hantierte mit gewohntem Elan an seiner Gaggia-Maschine und stellte mit elegantem Schwung zwei Espressi auf die Untertassen. Dann sah Lev, wie seine Augen plötzlich traurig wurden.
»Dir kann ich es sagen, mein Freund, denn du bist wie ich, du gehörst nicht in dieses Land − in letzter Zeit läuft mein Geschäft schlecht. Und ich weiß, wieso.«
Lev wartete. Ahmed schob ihm einen Zuckertopf hin. »Du nimmst Zucker, oder bist du süß genug? Hat GK Ashe deinen Arsch zu Crème-brûlée-Kruste gegrillt?« Ahmed kicherte, dann strich er sich über den Bart und machte wieder ein niedergeschlagenes Gesicht. »Ja«, sagte er. »Es läuft schlecht, weil die Menschen in diesem Land ein Vorurteil gegen Araber haben. Hat sich langsam eingeschlichen. Egal aus welchem Land du kommst, die gucken
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