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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Simone?«
    »Egal«, sagte Simone. »Sie haben das Sagen, Mann.«
    »Heute bin ich Küchenchef. Also, das machen wir zum Lammbraten: ein Kartoffel-Zwiebelgratin, eine schöne Jus, Erbsen, ein Karottenpüree ...«
    »Sag ich also ›Chef‹?«
    »Ja«, sagte er. Konnte nicht widerstehen. »Du nennst mich Chef.«
    Die Lammkeule war riesig, blutig, glitschig von der Vakuumverpackung. Lev spülte und trocknete sie ab. Ging zu der mitgebrachten Tasche, die auch einen Bund Rhabarber enthielt, holte eine Knoblauchknolle und etwas frischen Rosmarin heraus. Sah, dass Simone sich umdrehte und zuschaute, wie er diese neuen Zutaten hervorzauberte.
    »Sie haben Sachen mit? Richtige Chef-Sachen?«
    »Ja. Ich kenne die Küche hier.«
    »Scheiße, oder?«
    »Sie ist scheiße. Aber heute machen wir es besser.«
    Lev holte den Rhabarber, dann eine Muskatnuss, Nelken, Butter und Sahne aus seiner Tasche. Simone schüttelte den Kopf. »Ma Vig hatte keinen Schimmer vom Kochen«, sagte sie. »Keine Ahnung, wieso sie diesen Job gekriegt hat, weil sie ihn nämlich nicht verdient hat.«
    »Nein. Glück für alle, dass sie weg ist.«
    Der schäbige weiße Raum duftete schon bald zart nach dem Lamm und kräftig nach dem Gratin. Lev begann Butter und Mehl für Streusel zu zerkrümeln, während Simone den Rhabarber wusch und klein schnitt. Er sah, dass das Mädchen langsam, aber sorgfältig arbeitete. Als er ihr zeigte, wie man eine Zwiebel karamellisiert, eine Brühe aus Gemüseresten aufsetzt, in der Zwiebelpfanne eine Jus herstellt, erhielt er von ihr ein schniefendes, vergnügtes Lachen. »Abgefahren!«, sagte sie. »Das zeig ich meiner Mum.«
    Lev unterbrach seine Arbeit, ging vor die Tür, um eine zu rauchen, und blickte hinaus auf die Ferndale-Wiese. Tauben hatten sie in Beschlag genommen und trippelten gurrend darauf herum. Sofort schoss ihm die alte Sehnsucht nach Sophie ins Herz. Er stellte sich vor, wie sie dort zwischen den Vögeln hockte, Sonne im Haar, Arme um die Knie geschlungen, und ihnanlächelte. Dann fiel ihm ein, wie sie am Weihnachtstag gesungen hatte:
    Somewhere over the rainbow,
    Way up high ...
    und ihre Stimme hatte alle Bewohner von Ferndale verstummen, in Träume von der Vergangenheit versinken lassen, und als das Lied zu Ende war, hatten sie jubelnd Beifall gespendet.
    Lev drückte die Zigarette aus, kehrte in die Küche zurück und fragte Simone: »Hast du irgendwann sonntags mal mit einer Köchin namens Sophie gearbeitet?«
    »Ja?« Sie sagte es wie eine Frage − »ja?« Dann fügte sie hinzu: »Sie war nett, nicht? Aber sie kommt nicht mehr her. Sie hat doch irgend so einen berühmten Freund, oder?«
    Die meisten Ferndale-Bewohner erkannte Lev wieder: Berkeley Brotherton, Pansy Adeane, Douglas, Joan, die zitternde, zuckende Parkinsongruppe, einige aus der Rollstuhlbrigade ... Es gab drei oder vier neue Gesichter. Aber Minty Hollander war nicht mehr dabei. Sie war ihr Star gewesen, ihre juwelenbehängte Herzogin, die einst zusammen mit Leslie Caron gearbeitet und alle herumkommandiert hatte mit ihren silbrigen Vokalen und ihrem hartnäckigen, koketten Charme, und nun hatte sie alle hier verlassen.
    Vielleicht war es auch eine Erleichterung für die anderen, dass sie gestorben war. Lev kam es ohne sie auf jeden Fall ruhiger vor, weniger zänkisch. Und als er mit Simone das Essen auftrug, verfielen sie in Schweigen, starrten auf ihre Teller, nahmen ihre Brillen ab oder setzten sie auf, um das ungewohnte Gericht genauer zu beäugen. Dann begannen sie zu essen, und nach einem kurzen Moment sagte Pansy Adeane mit vollem Mund: »Wer hat dieses Kartoffelding gemacht?«
    »Chef war das, Mrs. Adeane«, sagte Simone.
    »Das ist ja köstlich. Sag das dem Chef, Liebes. Viel besser als unser übliches Zeug.«
    Von Ruby Constad war weit und breit nichts zu sehen. Ihr Platz am Tisch war gedeckt worden, aber der Stuhl blieb leer. Als Lev Berkeley Brotherton fragte, wo sie sei, erwiderte er: »Keine Ahnung. Würde mich nicht wundern, wenn sie in ihrem Zimmer Trübsal bläst. Elende Kinder, kommen sie nie besuchen, egoistische Kreaturen.« Dann unterbrach ihn eine der Tagesschwestern, legte ihm eine Serviette um den alten, aber stolz gereckten Hals und sagte: »Mrs. Constad nimmt heute nicht am Mittagessen teil. Es ist auch nicht Pflicht.«
    Lev und Simone liefen um den Tisch herum und halfen den zwei Tagesschwestern dabei, Essen klein zu schneiden, wenn jemand es nicht selber konnte, führten hier und da eine zittrige Hand mit dem

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