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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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übersteigt meine Vorstellungskraft, aber so ist es nun einmal. Und jetzt ist es verflixt schwierig für mich, Ersatz zu finden. Im Augenblick habe ich nur provisorische Hilfe. Die Tochter von Captain Brothertons früherer Putzfrau ist bei einer Zeitarbeitsfirma, aber sie ist sehr jung und unerfahren, und ich kann ihr die Arbeit doch nicht allein überlassen, oder?«
    »Nein. Ich glaube nicht.«
    »Natürlich springe ich auch selbst ein. Geht ja nicht anders. Aber Sonntag muss ich unbedingt meine Schwester in Kent besuchen, die Gürtelrose hat, deshalb dachte ich mir ... ob Sie vielleicht beim Mittagessen aushelfen könnten. Ich habe nicht vergessen, dass die Küchenarbeit, die Sie hier geleistet haben, große Anerkennung fand. Ich weiß, dass ich reichlich spät anrufe, aber ...«
    »Ja«, sagte Lev. »Natürlich mache ich das.«
    »Oh, wollen Sie das tatsächlich ? Das ist wirklich nett von Ihnen. Wir werden Sie natürlich angemessen bezahlen. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.«
    »Das geht in Ordnung. Wie viele zum Mittagessen, Mrs. McNaughton?«
    »Warten Sie. 16 Bewohner. Wir haben Mrs. Hollander verloren. Wirklich sehr traurig. Solch ein ... strahlendes Licht. Erinnern Sie sich an sie, Minty Hollander?«
    »Ja. Das Weihnachtsknallbonbonspiel.«
    »Genau. Hat immer gern die Spiele hier dominiert. Aber keiner war ihr wirklich böse deshalb. Und wir haben sie so plötzlich verloren. Ich weiß, dass alle sie vermissen.«
    »Ja, das kann ich mir denken.«
    »Aber so ist es nun einmal. ... wenn sie auch einen Finger dick auflegt: so’n Gesicht muss sie endlich bekommen. «
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte Lev.
    »Ach, nur ein Zitat aus Hamlet .«
    »Hamlet spricht mit dem Totengräber, richtig?«
    »Ja. Ganz genau. Woher wissen Sie das denn, Lev?«
    Wie er da in der Sonne stand, wusste Lev, dass ein Lächeln auf seinem Gesicht lag. Nicht nur hatte er die Zeile wiedererkannt, sondern plötzlich meinte er zu begreifen, wieso Lydia ihm dieses Stück geschenkt hatte: Sie wollte ihm zeigen, dass Worte, die vor sehr langer Zeit geschrieben worden waren, einen begleiten und stützen konnten, wenn man einmal keinen Weg mehr sah.
    »Eine Freundin hat es mir beigebracht«, sagte er.
    »Wirklich sehr schön. Jedenfalls bin ich erleichtert, dass Sie am Sonntag Zeit haben. Ich habe sofort an die liebe Sophie gedacht, aber unglücklicherweise hat sie mit irgendeiner Kunstausstellung zu tun.«
    »Ja?«
    »Ja. Ich wusste gar nicht, dass Vernissagen an Sonntagen stattfinden. Das war früher nicht so, aber wahrscheinlich haben sich die Zeiten geändert.«
    »Ja, ich glaube.«
    »Also, Lev, wenn Sie gegen halb zehn herkommen, sollte das reichen. Die Bewohner essen gern um eins. Und wenn Sie dann irgendwann in der nächsten Woche zu mir kommen, regeln wir das mit dem Honorar. Wäre das in Ordnung?«
    »Ja«, sagte Lev. »Ganz in Ordnung. Eine Sache noch, Mrs. McNaughton. Was soll ich kochen?«
    »Richtig. Irgendeine Art Braten. Das haben wir immer am Sonntag. Lamm?«
    »Okay. Lamm. Ich bringe einige Kräuter.«
    »Kräuter? O ja. Schön. Aber sie mögen es gern schlicht. Vergessen Sie nicht, wir sind in England, Lev.«
    »Nein, das vergesse ich nie.«
    Lev steckte das Telefon ein, drehte sich um, schaute noch einmal in Kowalskis Hof hinunter und prägte ihn sich für immer ein. Dann ging er fort.
    Die Küche in Ferndale Heights stank nach verbranntem Fett und nach dem vertrauten Kackegeruch von gekochtem Kohl.
    Lev öffnete alle Fenster, putzte das Kochfeld, zog eine Bratpfanne heraus und schrubbte sie, bis seine Finger blutig waren. Dann begann er, Kartoffeln zu schälen.
    Seine junge schwarze Küchenhilfe erschien und blieb in der Tür stehen, eine saubere, gefaltete Schürze stumm an die Brust gedrückt. Lev drehte sich um und sah sie. Sie war 16 oder 17, hatte Akneschorf auf den Wangen und trug das Haar straffgezogen zu einem drahtigen Heiligenschein.
    »Ich bin Simone«, sagte sie.
    Er schüttelte ihr die Hand, bemerkte den Argwohn, gegen ihn als Ausländer , weshalb er ihr auf der Stelle − wie GK es getan hätte − Aufgaben übertrug, ihr sagte, sie solle die Kartoffeln zu Ende schälen, waschen, die Schalen für die Brühe aufbewahren und mit den Karotten beginnen. Dann holte er, vor ihren erstaunten Augen, sämtliche Pakete mit Tütensoßen, Brühwürfeln und Fertigkartoffelbrei aus den Regalen und warf sie in den Mülleimer.
    »In dieser Küche machen wir richtiges Essen«, sagte er. »Bist du einverstanden,

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