Der weite Weg nach Hause
Struktur dessen, was drin ist«?
»Okay«, sagte Jasmina. »Ich spreche von Anreizsystemen, die es in Ihrem Land gibt: vor allem von Subventionen für neue Inlandsinvestitionen. Die Ostblockländer hungern nach allen möglichen Projekten westlichen Formats, selbst schmal dimensionierten, weshalb sie wahrscheinlich gerne kleine Unternehmen unterstützen, wo sie können. Verstehen Sie, wovon ich rede?«
»Ja.«
»Okay, hier ist meine Idee. Wie wäre es, wenn Sie zu Ihrer Botschaft gingen und fragten, ob es irgendwelche Darlehensformen gibt, die auf Sie zutreffen?«
»Zur Botschaft gehen?«
»Das ist der logische Anfang. Erklären Sie Ihr Projekt und legen Sie die wahrscheinlichen Vorlaufkosten dar. Schauen Sie, wie die reagieren. Sehen Sie zu, dass Sie herausbekommen, ob es irgendwelche Modelle gibt, die für Sie geeignet sind.«
»Darlehen für Träume«, sagte Lev.
»Klar«, sagte Jasmina und lächelte nun ihr alles veränderndes Lächeln. »Aber der Traum ist okay. Findest du nicht, Christy?«
»Auf jeden Fall«, sagte Christy. »Das ist er auf jeden Fall. Ich bin völlig einverstanden.«
Lev blickte zu Christy, dessen Kopf bequem an der Stuhllehne lag. Aber Lev war überzeugt, dass Christy sich im Geiste sehr weit von Darlehen und Subventionen entfernt hatte, im Grunde sogar sehr weit von jeglichem Thema, und dass ihn nur noch ein Gedanke beschäftigte, nämlich der an die herannahende Nacht und Jasminas Körper, endlich neben ihm, in seinem eigenen Bett.
21
Fotos anschauen
Die Botschaft befand sich in einem weiß verputzten Haus unweit der Earls Court Road, wo Lev damals für Ahmed gearbeitet hatte. Weil der Außenanstrich des Hauses so frisch wirkte, fand Lev die Eingangshalle mit ihrer unerklärlichen Dunkelheit, ihrem Geruch nach vernachlässigten Dingen umso überwältigender. Diese Aura von Dunkelheit und Vernachlässigung kam ihm in einem Botschaftsgebäude ebenso entnervend vertraut wie schockierend fehl am Platz vor.
An der Wand sah Lev einen vergilbten Zettel, der die Besucher aufforderte, sich bei der Rezeption anzumelden. Die befand sich links von der Halle in einem Raum, wo eine junge Frau hinter einem nierenförmigen Stahlschreibtisch unter einem blutfarbenen Porträt des Präsidenten des Landes, Podrorsky, saß. Der Schreibtisch stand auf einem verblichenen alten Afghan und hatte den Teppich mit seinem Gewicht schon ziemlich zugerichtet. Die halb zugezogenen Vorhänge vor den hohen Fenstern passten zum Blutrot des Porträts und wehrten den strahlenden Sommertag ab.
Am anderen Ende des Raums war eine Bar. Lev starrte dorthin, sah eine Gruppe Männer in dunklen Anzügen am Tresen lehnen, rauchen und Wodka trinken. Es war halb elf am Morgen. Der Barkeeper hielt den Kopf in die Rauchzone und breitete die Arme aus, als messe er gerade Stoff am Tresen ab. Bei Levs Eintritt blickte er kurz hoch, und alle drehten die Köpfe, schauten Lev an und sofort wieder weg. Die Gäste in der Bar waren anscheinend in der Lage, auf der Stelle zu entscheiden, dass dies eine Person ohne Bedeutung war.
Lev hatte sich nicht vorbereitet auf das, was er sagen wollte,und wünschte jetzt, er könnte sich noch genauer an das erinnern, was Jasmina ihm über Darlehen und Startkapital erklärt hatte. Während er sich dem Schreibtisch und dem kühlen Blick der Person dahinter näherte und den Geruch staubiger, mit Rauch imprägnierter Möbel einatmete, fühlte er sich durch all das so sehr an Prokurator Rivas’ Büro in der Baryner Baubehörde erinnert, dass der Hass auf Rivas, den er nie hatte besiegen können, erneut in ihm aufwallte. Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder hinausmarschiert.
Die junge Frau sagte auf Englisch: »Was kann ich für Sie tun?«
Ihre hyperkorrekte Aussprache ließ Lev an Lydia denken, was ihm in diesem Moment nicht so gelegen kam. Er stand vor dem Schreibtisch, Erinnerung und Scham machten ihn stumm. In seinem Magen rumorte es. Vielleicht würde er als Einziges nur die Frage nach den Waschräumen hervorbringen können.
Die Frau starrte ihn an. Ihr Haar war zu einem straffen, festen Knoten im Nacken gebunden. Ihre Haut war sehr blass, ihre Lippen bildeten einen karmesinroten glänzenden Strich. Obwohl es draußen strahlendhell war, wirkte der Raum so kalt, als fiele nie ein Sonnenstrahl herein.
Lev räusperte sich. Er schob die Hände in die Taschen seiner Lederjacke. »Ich wollte fragen ...«, begann er.
Die junge Frau verdrehte die Augen wie unter
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