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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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sehr klug sind. Verstehen Sie? Geschickt und höflich − nicht wie in alten kommunistischen Restaurants. Froh, dort zu arbeiten, Teil von meinem Traum zu sein ...«
    »Ich finde es brillant, Lev«, sagte Ruby. »Ich kann es mir schon vorstellen. Ich kann mir alles vorstellen.«
    Sie lächelte, und Lev fiel auf, dass ein Hauch von Farbe in ihre eingefallenen Wangen zurückgekehrt war. Er drückte seine Zigarette aus und sagte: »Ruby, ich hole Ihnen jetzt etwas zu essen. Sie müssen essen.«
    »Ich weiß«, sagte sie und seufzte. »Aber mir ist einfach nicht mehr nach essen. Es tut mir leid. Wenn ich könnte, würde ich ja. Aber wenn es mir besser geht − falls es mir jemals wieder besser geht −, werde ich mich vielleicht auf eine verrückte Abenteuerreise in Ihr Land begeben, in Ihrem Restaurant speisen und all die Bilder an den gelben Wänden betrachten, während ich auf mein Essen warte.«

22
Das letzte Biwak
    Ein Briefumschlag mit der Adresse in Inas Handschrift kam, enthielt aber weder einen Brief noch einen Dank für das Geld, das Lev regelmäßig schickte, sondern nur ein von Maya gemaltes Bild. Darauf war blaugrünes Wasser zu sehen mit umherschwimmenden leuchtenden Fischen und einer Reihe nickender Seepferdchen. Oben auf dem Blatt, wo das Wasser aufhörte und der freie weiße Himmel begann, schaukelte ein Hausboot wie Noahs Arche, aber die Arche war kleiner als die Seepferdchen, und die Decks waren leer. Wenige Worte waren unschön in eine Ecke des blaugrünen Meers gekritzelt: » Für Papa von Maya « . Nichts weiter. Kein Herzchen, keine Küsschen.
    Lev zeigte das Bild Christy und Jasmina. Christy sagte: »Sieh doch, wie hübsch sie die Fische gemalt hat.« Jasmina sagte: »Vielleicht hat Ihre Mutter das ja Maya erzählt − dass Sie alle in einer Arche wohnen werden, wenn die Flut kommt?«
    Lev stellte das Bild auf seine Fensterbank. Starrte es an. Versuchte sich vorzustellen, was im Kopf seiner Tochter vorging. Dachte daran, wie sie mit Hühnern und Ziegen und im Sand badenden Spatzen gesprochen hatte, und fragte sich betrübt: Mit wem oder was wird sie in einer Wohnung in Baryn reden?
    Dann suchte er Mrs. McNaughton auf, um das Geld abzuholen, das sie ihm schuldete, doch anstatt nach der Übergabe des Schecks wieder zu gehen, erklärte er ihr, er sei bereit, fest in Ferndale Heights zu arbeiten, falls sie noch keinen Ersatz für die Viggers gefunden habe. Mrs. McNaughton faltete ihre Hände in einer leidenschaftlichen Geste und sagte: »Du meine Güte, Lev. Wie wunderbar. Das ist genau das, worum ich Sie bitten wollte!«
    Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Morgens um neun würde er in Ferndale erscheinen und, nachdem er das warme Mittagessen serviert und ein kaltes Abendessen vorbereitet hätte, um drei oder vier wieder gehen. Um fünf würde er bei Panno sein. Dort bis zwölf oder eins arbeiten. Gegen zwei zu Hause im Bett liegen. Um sieben aufstehen. Um neun wieder draußen in Ferndale sein. Es würden lange Stunden werden, sicher, aber mehr auch nicht: Stunden eben. Er würde sie durchstehen. Er sagte sich, keine werde so mühselig sein wie eine einzige Stunde im Baryner Holzhof im Winter. Und dort hatte er es fast zwanzig Jahre ausgehalten ...
    Mrs. McNaughton sagte, Ferndale könne ihm 17 Pfund die Stunde zahlen. Mit klopfendem Herzen lehnte er dieses Angebot ab. Er erinnerte sie daran, dass es sich um die Arbeit eines Chefkochs handele, und verlangte zwanzig, sah, wie sie zögerte, dann nachgab und einwilligte. Mit ihrem gewohnt tüchtigen Lächeln erklärte sie, es sei ihr bewusst, dass Ferndale sich glücklich schätzen könne, ihn zu bekommen.
    Er hatte gerechnet. Wenn er sieben Tage die Woche sechs Stunden für einen Stundenlohn von zwanzig Pfund in Ferndale Heights arbeitete, verdiente er 840 Pfund beziehungsweise 650 nach Steuern. Das Geld, das er von Panno bekam − etwa 216 Pfund die Woche bar auf die Hand − würde ihm, wenn er sorgsam wirtschaftete, zum Leben und für die Miete bei Christy reichen. Er könnte also etwa 2500 Pfund im Monat sparen. Dann müsste er nur vier oder fünf Monate arbeiten, um die unmöglich erscheinende Summe von 10 000 Pfund zusammenzusparen.
    Als ihm dieser Wahnwitz klar wurde − nämlich, dass er am Ende doch keine Hilfe von der Regierung, kein teures Darlehen, keinen Wohltäter benötigte, sondern das Geld selbst beschaffen konnte, indem er statt einem zwei Jobs stemmte −, blieb ihm einfach die Luft weg.
    Sein erster und einziger Spontankauf war

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