Der weite Weg nach Hause
eine Garnitur weißer Kochkleidung. Er zog die Kochjacke an und betrachtete sich. Er setzte die Kochmütze auf und störte sich nicht daran, dass die Mütze als solche ein lächerlicher Gegenstand war, über den GK Ashe einmal gesagt hatte, das sei ein »Wichser-Fummel«. Er präsentierte sich Christy und Jasmina und musste feststellen, dass sie grinsten.
»Wir lachen nicht«, sagte Jasmina.
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Christy. »Wir würden niemals lachen. Wir sind einfach nur geblendet von dem Schneeweiß.«
Lev versuchte ihnen zu erklären, dass die Bewohner von Ferndale Heights ihren Koch vielleicht gern auf diese altmodisch-elegante Weise gekleidet sähen, dass sie in einer sehr geschrumpften, veränderten Welt lebten, und wenn er dann demnächst in seiner weißen Pracht auftrete, würden sie das als einen Ausdruck von Wertschätzung empfinden.
»Ach so«, sagte Christy. »Das finde ich famos, was meinst du, Jas?«
»Ja«, sagte Jasmina. »Sie werden glauben, sie seien im Ritz. Wie schade, dass Miss Minto, oder wie immer sie hieß, nicht mehr da ist, um das zu würdigen.«
Sein schmerzender Rücken erinnerte ihn manchmal an jenen Augenblick, als er damals vom Heuwagen in den Graben gestoßen worden war. Der Schmerz setzte am späten Abend ein, wenn er bei Panno die Tische bediente und merkte, wie sehr er sich nach Wärme und Schlaf sehnte. Doch das war nichts. Nur ein unvermeidlicher Teil der Entscheidung, die er getroffen hatte. Er schluckte Schmerztabletten und machte weiter. Und nach und nach erlebte die Küche in Ferndale Heights eine Transformation. Lev und Simone hatten jeden Schrank und jede Schublade ausgeräumt und geschrubbt und so all die schmierigen, widerlichen Hinterlassenschaften der langen Viggers-Herrschaft beseitigt.
»Das waren doch echt Schlampen , oder?«, verkündete Simone, während sie Töpfe einweichte und scheuerte, Fett von den Regalen schabte, uralte Pakete mit Puddingpulver und Tütensuppen in Säcken entsorgte. »Die hätten den ganzen Laden hier infizieren können.«
Die Küche war tatsächlich infiziert. Jedenfalls hatte Lev das Gefühl. Infiziert mit Vernachlässigung, mit Gleichgültigkeit. Er musste an die schäbigen Restaurants denken, in die er mit Marina gegangen war, in der vergeblichen Hoffnung auf gutes Essen. Und stets hatten sie nur ein Sammelsurium abgelebter Dinge, den immergleichen Mangel an Sorgfalt angetroffen.
»Was ich mir wünschen würde«, sagte Lev nach zwei Wochen zu Simone, »ist, dass es eine Auswahl beim Mittagessen gibt. Zwei Hauptgänge. Zwei Nachtische. Jeder kann wählen. Was meinst du?«
»Ja«, sagte Simone. »Aber erklären Sie das Mama McNaughton, die kriegt einen Anfall.«
»Wieso?«
»Kosten, Chef. Kapieren Sie? Auswahl ist zu, wie sagt man − zu verschwenderisch ...«
»Nein«, sagte Lev. »Nicht, wenn wir Speisekarten machen. Und sie ein oder zwei Tage vorher austeilen. Jeder entscheidet. Sagt, was er möchte. Dann wissen wir, wie viele Hühner, wie viel Fisch und so weiter wir brauchen, für die Lieferanten. Sollte keine Verschwendung geben.«
»Ja?«
»Ja. Wieso nicht?«
»Ja? Weiß nicht. Aber sie sagt bestimmt Nein.«
Mrs. McNaughton sagte nicht Nein. Sie sagte, sie werde einem, wie sie es nannte, »auf einen Monat begrenzten Experiment« zustimmen. Sie forderte Lev dringend auf, die Kosten der teureren Zutaten jeweils mit billigeren auszugleichen.
Als er Simone davon erzählte, sagte sie: »Gut. Na, dann schreib ich wohl besser die Speisekarten. Ihre Rechtschreibung ist doch bestimmt grauenhaft, oder?«
»Ja«, meinte Lev zustimmend. »Du schreibst. Du gibst sie Mrs. McNaughton für den Computer. Mach, dass jedes Gericht schön klingt.«
Simone nahm die Aufgabe mit nach Hause und kam mit einem Musterformular wieder, das sie, wie sie sagte, mit ihrer Mum ausgearbeitet und dann sorgfältig mit der Hand ausgefüllt hatte. Stolz zeigte sie es Lev.
IHRE SPEISEKARTE FÜR MITTWOCH
Abartig leckere Freilandhühnerbrüstchen, mit Pilzen, Schalotten und Kräutern gefüllt, als Beilage eine irre brillante Jus
oder
Phantastisches Fischgratin à la Chef mit null Gräten und nichtbeschissen paniert
und
Auswahl an nichttiefgefrorenen Broccoli oder Bohnen oder beides, wenn Sie möchten
−
Crème brûlée, nach einem vom Chef im GK Ashe geklauten Rezept
oder
Wassermelonensorbet mit ohne schwarze Kerne oder sonst welchem Mist drin
Lev brachte Mrs. McNaughton Simones Speisekarte, ohne etwas daran zu ändern. Mrs.
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