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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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realen Ort − ganz gewiss nicht in Ferndale Heights −, sondern in einem Land ihrer Fantasie, wo der Himmel jede gewünschte Farbe annehmen könne. »Ich sehe wunderbare Dinge«, hatte sie gesagt. »Ich sehe weiße Gewänder an einer Wäscheleine, die sich im Wind blähen; ich sehe Elefanten, die von ihren Mahouts mit Wasser bespritzt werden; ich sehe Geier, die auf mächtigen Felsen hocken ...«
    Lev wusste, dass die »Gäste« darauf warteten, dass er ging. Er bot an, eine Vase für die Nelken zu holen, aber Ruby sagte: »Nein, nein, ich habe so viele Vasen. Das macht Alex. Nicht wahr, Liebling?«
    »Klar«, sagte die Tochter Alexandra.
    Doch sie rührte sich nicht von ihrem Stuhl. Es kam Lev so vor, als wäre das Aufstehen mit diesen blassen, trockenen Beinen für sie ein sehr privater Akt, etwas, das sie einen Fremden nicht sehen lassen wollte.
    Jetzt waren Lev und Marina in einem großen Raum, und die Sonne warf helle Rechtecke auf einen duftenden Fußboden, der mit einem Sägemehlteppich bedeckt war. Gemeinsam fegten sie das Sägemehl weg, unter dem ein solides Parkett zum Vorschein kam. »Hier ist es«, wiederholte Marina immer wieder. »Hier ist es.«
    Dann erklärte sie ihm, dieser sonnendurchflutete Raum sei früher ein Klaviergeschäft gewesen, vor Kurzem noch mit lauter Musikinstrumenten und Notenschränken vollgestellt. »Elgar hat hier gewohnt«, sagte sie, »bevor er berühmt wurde.«
    Der Traum war angenehm, ohne traurigen Unterton. Nach und nach hatten sie das Sägemehl in die hinterste Ecke geschoben,und das Holz darunter begann zu glänzen. Und Marina hörte nicht auf, die Vorzüge des leeren Klaviergeschäfts zu rühmen. »Es ist so schön hell«, sagte sie, »und sieh mal, Lev, da ist ein Kamin. Ich denke, du könntest 15 oder 16 Tische reinbekommen und hättest immer noch Platz für deine Bar.«
    Lev wollte sie fragen, wo denn seine Küche sein würde.
    So weit er verstand, gab es einen weiteren Raum hinter dem Klaviergeschäft, wo Elgar einst in einem schmalen Bett gelegen und der Musik in seinem Kopf gelauscht hatte, aber Lev fürchtete, dieses Zimmer sei dunkel und eng und der Sarg des Komponisten stünde darin, weshalb er die Tür zu diesem Zimmer geschlossen hielt und die Küche nie erwähnte. Aber das Fegen des wunderschönen Raums ging immer weiter, und das Wusch-wusch der Besen war ein angenehmes Geräusch ...
    Lev erwachte mit einem wohligen Glücksgefühl aus diesem Traum, doch als er in der Küche stand und Tee kochte, wurde ihm klar, dass der Traum eine Mahnung war − eine drängende Erinnerung daran, dass weit weg in Auror nichts vorangegangen war. Obwohl der Tschewi − dank des Geldes, das er hatte schicken können − wieder fuhr, verharrte Rudi immer noch in seinem schweigsamen Zorn. Er hatte Lev mitgeteilt, seine Tage als Fahrer seien gezählt, denn er sei nicht in der Lage, sich mit der »verdammten Taximafia in Baryn und deren Scheißautos« anzulegen. Hatte erklärt, das sei unter der Würde des Tschewi. Lieber würde er sich hinlegen und sterben.
    Dann war da die quälende Frage der Wohnungen in Baryn. Lora hatte einen Termin bei einem Funktionär des Umsiedlungsbüros erhalten, der keinen Augenblick zögerte, ihr Schmiergeld zu nehmen, dann aber sagte, er könne den Blick auf den Fluss nicht versprechen, und empfahl, sie solle doch in einem Monat wiederkommen. Als sie aus der Tür ging, hatte er eine Geste mit der Hand gemacht, indem er mit dem Daumen an seinen Fingern entlangstrich.
    »Also ist er absolut bestechlich, oder?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Ich schicke noch mal fünfzig«, sagte Lev.
    Lora erzählte ihm, sie sei auf dem Bauplatz gewesen, aber dort, wo die Wohnungen entstehen sollten, habe man noch nicht begonnen, von Bauarbeiten sei nichts zu sehen. Sie sagte, das Gelände sei eine einzige »Müllkippe«, in der Möwen und Füchse herumwühlten.
    »Heißt das vielleicht, dass das Staudammprojekt verschoben ist?«
    »Nein, Lev. Ganz und gar nicht. Landvermesser und Ingenieure sind die ganze Zeit am Fluss zugange. Man hat uns gesagt, die Arbeit beginnt diesen Winter. Wir werden heimatlos sein, und es kümmert keinen.«
    Zu gern hätte er ihr erzählt, dass er sich alles ausgerechnet habe, dass er, wenn er bis Januar oder Februar weiterarbeiten könne, das nötige Geld für den Start seines großen Unternehmens zusammenhaben werde, aber irgendwie mochte er ihnen nicht von dem Projekt erzählen, wagte es nicht, fürchtete, sie würden es nicht als das begreifen,

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