Der weite Weg nach Hause
43. Sie betrat das Lokal am Arm des Maestros. Die Gäste erhoben sich und klatschten, während Rudi Greszler und Lydia an ihren Tisch führte. Dann kam Lev aus seiner Küche, um sie zu begrüßen, und er drückte Lydia an sich, und sie flüsterte ihm einige Worte zu, immer dieselben Worte. Ich verzeihe Ihnen, Lev. Ich verzeihe Ihnen.
Doch in Wirklichkeit kamen sie nie. Und als Lev seinem Freund die ganze unglückselige Geschichte seiner Freundschaft mit Lydia erzählte, sagte Rudi am Ende: »Was mich wirklich überrascht, Kamerad, ist, dass du noch glaubst , sie würde tatsächlich hier aufkreuzen.«
»Ich weiß«, sagte Lev. »Dass ich sie um die 10 000 Pfund bat, das hat, glaube ich, das Fass zum Überlaufen gebracht.«
»Genau«, sagte Rudi, »das muss sie gefuchst haben. Aber das ist nicht der Grund, weswegen sie nicht kommt. Sie kommt nicht, weil sie sich vor dem fürchtet, was sie noch für dich empfindet. Also musst du es einfach akzeptieren und sie vergessen.«
Lev sann darüber nach. Über so vieles in seinem vergangenen Leben hatte er den Mantel des Vergessens zu breiten versucht. Aber die Menschen und Orte unter diesem Mantel erwiesen sich als hartnäckig. Sie meldeten sich ständig bei ihm. Sie waren in leuchtende Farben gehüllt, und die Jahreszeiten warfen noch immer ihr wechselndes Licht auf sie.
Einer, der sich tatsächlich bei Lev meldete, war Christy Slane.
Christy hatte Jasmina auf einem Standesamt in Camden Town geheiratet, und Jasmina hatte einen weißgoldenen Sari getragen, und Frankie war ihre Brautjungfer gewesen, ebenfalls in einem kleinen Sari, den sie im Laufe des langen Festtags immer wieder auf- und zuwickelte.
Christy schrieb, seine Hochzeit mit Jasmina sei »der aufregendste Tag meines Lebens« gewesen, und jetzt bepflanze er übrigens den Garten in Palmers Green neu und nehme Yogaunterricht. Die Wohnung in der Belisha Road sei vermietet. Er sei durch mit Nordlondon, sagte Christy: Jetzt sei er ein Mann der Vorstadt, spezialisiert auf Küchenrenovierungen. Von Jasminas Hühnchen-Korma werde er allmählich dick.
Dann, im Frühsommer nach der Eröffnung der Podrorskystraße 43, rief Christy an und sagte, Jasmina und er planten einen Osteuropaurlaub, und auf ihrer Reise würden sie auch gern einen Abstecher nach Baryn machen. Am Telefon sagte Christy: »Jasmina weiß, dass du zu den wenigen Menschen gehörst, die mir wirklich fehlen, Lev.«
Sie kamen an einem Freitagmorgen im August mit dem Mietwagen in Baryn an. Als Christy die Podrorskystraße 43 betrat, sagte er: »Heilige Scheiße! Sieht aus, als hättest du hier was Besonderes hingelegt, alter Junge.«
Die beiden Männer umarmten sich. Der Nikotingeruch des alten Rauchers Christy war verschwunden, und auf seinem rosigen Gesicht war nicht die geringste Spur von Ekzemen zu sehen.
Jasmina warf Lev die Arme um den Hals. »Wollen Sie mir nicht gratulieren?«, lachte sie. »Ich bin die neue Mrs. Slane.«
»Willkommen, Mrs. Slane«, sagte Lev. »Willkommen in meinem Laden der Träume.«
Nachdem sie eine Runde durchs Restaurant gemacht und die Kornblumen in den schlanken Vasen auf jedem Tisch und das blitzende Besteck und die Ledersessel vorm Kamin und die gut bestückte Bar bewundert hatten, führte Lev sie zu dem Tisch ganz hinten, und Rudi öffnete den Champagner.
Zu Rudi sagte Christy: »Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie ein lebendiges Wesen sind. In meinem Kopf sind Sie eine mythische Figur.«
Lev trug das Mittagessen auf. Kaninchenpastete auf einem Bett aus Salatblättern mit Kräutermayonnaise; Entenbrust mit Wacholderbeersoße und Kartoffelgratin; schließlich Schokoladentorte, fast wie die, die er in der Belisha Road gebacken hatte, als Jasmina − lange her − zum ersten Mal zum Abendessen gekommen war. Aber jetzt war der Mürbeteig so perfekt, so »mürbe«, dass er wie Fondant auf der Zunge zerging.
»Allmächtiger«, sagte Christy, als der letzte Krümel vertilgt war, »du hast Fortschritte in der Essensabteilung gemacht, Kamerad. Das kann ich mit Sicherheit sagen.«
Zu diesem Essen waren auch Ina und Maya eingeladen. Während die Erwachsenen Kaffee tranken, kletterte Maya auf Jasminas Schoß, die dem kleinen Mädchen lächelnd erlaubte, ihre Ohrringe zu untersuchen und ihr schimmerndes Haar zu streicheln.
Und Ina? So weit Lev wusste, war es das erste Mal, dass sie seine Kochkünste kommentierte. Über die Schokoladentorte sagte sie plötzlich: »Der Geschmack hat mir gefallen. Er hat mich an Schlaf
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