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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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dorthin?«
    Christy setzte sich gegenüber von Lev an den Wohnzimmertisch. Seine dünnen Arme ruhten auf einem alten Teefleck.Er seufzte und fuhr fort: »Ich würde gern dorthin ziehen. Warum nicht? Wenn du dir für zwanzig Eier die Woche das Gleiche kaufen kannst wie früher hier. Die brauchen doch vielleicht ein paar Klempner, oder? Um sich was Hübsches ins Badezimmer einbauen zu lassen. Deine Tochter könnte ihr eigenes kleines Waschbecken mit Delphinwasserhähnen kriegen, was, Lev?«
    »Du willst nicht da hinziehen«, sagte Lev.
    »Wieso nicht? Es klingt doch schön. Ziegen, die die Straßen entlangbimmeln. Blechschmuck. Altmodische Volkstänze. Die Vorstellung gefällt mir wirklich.«
    »Nein«, sagte Lev. »Dir würde nicht gefallen, Christy. Keine Zukunft dort. Keine Arbeit.«
    »Ich würde mir selbst Arbeit schaffen«, sagte Christy. »Wie Rudi mit seinem Taxiunternehmen. Und wir könnten alle zusammen was trinken gehen − du, ich und Rudi. Und ich wäre weg von Angela. Weg von den Anwälten ...«
    »Aber auch weg von Frankie.«
    »Ja«, sagte Christy mit einem melancholischen Seufzer. »Ich weiß. Aber es ist ja nicht so, dass ich sie sehe , oder? Nur mal ein flüchtiger Blick. Ach, und ich habe dir noch gar nicht erzählt: Angela hat jetzt einen Freund. Einen Deppen von Immobilienmakler. Hat vor, bei ihm einzuziehen. Zusammen mit Frankie. Bei dem einziehen! Macht mich wahnsinnig, der Gedanke. Wenn Frankie anfängt, ihn ›Papi‹ zu nennen, muss ich irgendwen umbringen. Ich sage dir, Mann, da wird ein handfestes Verbrechen stattfinden müssen.«
    Lev sah zu, wie Christy ein Gummiband um den Packen mit Zwanzigern schlang. Die Ekzeme auf seinem schmalen Gesicht hatten sich weiter ausgebreitet.
    »Warum kannst du Frankie nicht sehen?«, fragte Lev leise. »Sie ist deine Tochter.«
    Christie blickte nicht hoch, starrte nur auf seine Geldrolle. Nach einer Weile sagte er: »Angela hat das so eingefädelt. Hatbehauptet, ich wäre gewalttätig, wenn ich trinke. Ich hätte sie geschlagen. Und wenn ich meine Frau schlagen würde, wäre ich fähig, auch das Kind zu schlagen.«
    Er legte das Geld hin und steckte sich eine Zigarette an. Ohne Lev anzuschauen, sagte er: »Ich habe Angela nicht geschlagen. Ich bin sicher, dass ich das nie getan habe. Und wenn doch, dann ist das weg, ist in ein Loch verschwunden. Also musste ich meinem Anwalt sagen: ›Ich weiß es nicht.‹ Angela hat mir mal eine geschwollene Lippe gezeigt. Vielleicht war ich das. Vielleicht. Aber ich hätte nie gedacht, dass so etwas in mir steckt. Ich hätte nie gedacht, dass Christy Slane jemals so etwas auch nur in Betracht ziehen würde. Aber wer weiß?«
    Lev saß sehr still da. Er hätte Christy gern gebeichtet, dass auch er, wenn Liebe im Spiel war, zu Worten und Taten fähig gewesen war, für die er sich später geschämt hatte.
    Aber dieses Thema brauchte Zeit, und die billige Uhr auf Christys Kaminsims ging auf drei Uhr dreißig zu. Bald musste Lev los, um seinen Bus zu kriegen. Er griff nach Christys Päckchen Silk Cut und nahm sich eine Zigarette. Das Teilen von Zigaretten war ihnen zur stillschweigenden Gewohnheit geworden. Für Lev bestätigte das ihre Freundschaft. Er inhalierte und sagte: »Ich glaube, du hast das nicht getan, Christy. Irgendwo in deinem Kopf würdest du das wissen.«
    »Meinst du?«, sagte Christy. »Ich bin da manchmal nicht so sicher. Und deswegen kann ich mich auch nicht verteidigen. Alles ist einfach dunkel. Und jetzt bumst dieser Trottel von Immobilienladenschwengel Angela und liest Frankie Gutenachtgeschichten vor. Ich bin der hinterletzte Versager.«
    Als Lev gegen zwei Uhr vom GK Ashe nach Hause kam, lag Christy auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür in einer Lache aus Erbrochenem. Lev ging in die Wohnung, feuchtete ein Blatt Küchenkrepp an, kehrte zu Christie zurück und wischte ihm den Mund sauber. Dann ließ er eine Wanne einlaufen,schleppte Christy ins Badezimmer, zog ihn aus und legte ihn ins warme Wasser. Inzwischen war Christy wieder bei Bewusstsein und begriff, wo er sich befand. Sein Gesicht war, bis auf den Streifen entzündeter Ekzeme, sehr weiß, und seine Stimme klang dünn und zögerlich, wie die eines Anrufers mit einer schlechten Handyverbindung.
    »Tut mir leid, Mann«, sagte er zu Lev. »Das ist verdammt eklig. Meine Mama sagte immer: ›Dads Wutanfälle beim Saufen würden mir ja nichts ausmachen, es würde mir auch nichts ausmachen, wenn er Tante Bridies Teeservice kaputtschlägt, wenn

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