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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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nicht − weil ich die Geliebte eines berühmten Mannes werde, eine ausgehaltene Frau. Wissen Sie, seit Pjotr fort ist, ist mein Leben hier so schrecklich, dass ich anscheinend meinen ganzen Stolz verloren habe. Ich bin jetzt nur ›Müsli‹: die Sklavin verzogenerenglischer Kinder. Und so kann es nicht weitergehen, sonst sterbe ich.«
    »Sie müssen sich doch nicht rechtfertigen, Lydia. Bestimmt würden zig Frauen gern ihr Leben mit Maestro Greszler teilen. Er ist ein Genie. Und er liebt Sie ...«
    »Was heißt Liebe, wenn man 72 ist? Ich weiß es nicht. Aber ich werde meine Chance nutzen. Ich bin fast vierzig. Ich habe schon immer die Welt sehen wollen. Wenn ich nach New York komme, sterbe ich bestimmt vor Staunen! Und wir werden in den besten Hotels wohnen, in den besten Zimmern. Mein Gott, wie materialistisch das klingt. Ich habe mich wohl mit der englischen Konsumkrankheit angesteckt! Aber lassen wir die Hotels und all das. Wenn ich an meinen lieben Maestro denke, dann tue ich das mit großer Zärtlichkeit. Ich habe mich seinen Küssen nie aus Ekel entzogen. Es hat mir nie etwas ausgemacht, mich um seine Verdauung zu kümmern ...«
    Der Wodka wärmte Lev innerlich. Seine alte Bewunderung für Lydia kehrte wieder und rührte an sein Herz. Er sagte freundlich: »Wo werden Sie wohnen, wenn Sie nicht mit Greszler reisen?«
    Lydia setzte ihr Wodkaglas ab und richtete ihr Haar: »Daran hat er auch schon gedacht. Er ist so aufmerksam. Ich werde bei meinen Eltern in Yarbl wohnen. Er wird uns mit Geld unterstützen, Mama einen neuen Kühlschrank und mir ein kleines Auto kaufen, damit ich manchmal nach Jor fahren kann, um ihn zu sehen.«
    »Können Sie denn fahren?«
    »Nein. Aber ich werde Fahrstunden nehmen. Sie glauben nicht, dass ich das schaffe?«
    »Doch, ganz sicher. Ich bin sicher, dass Sie eine sehr gute Autofahrerin sein werden. Haben Sie es schon Ihren Eltern erzählt?«
    »Ja. Bis auf den Teil mit der Geliebten. Das brauchen sie nicht zu erfahren. Nur, dass ich auf Maestro Greszlers Konzertreisenseine Assistentin sein werde. Sie sind sehr stolz. Sie erzählen schon im Freundeskreis davon.«
    Lev griff nach Lydias Hand und hielt sie an seine Lippen. Ihr Gesicht war sehr nah, strahlend und warm.
    »Natürlich waren Sie es, Lev«, sagte sie, »der die Erinnerung an das, was ich für einen Mann empfinden kann, wieder in mir geweckt hat. Ich weiß, dass Sie nie etwas für mich empfunden haben, aber das ist nicht wichtig. Nein, sagen Sie nichts. Ich werde unsere Reise nie vergessen. Und Sie? Es war die wichtigste Reise meines Lebens, und ich habe sie mit Ihnen gemacht.«
    An diesem Abend konnte Lev sich auf der Arbeit nur schlecht konzentrieren. Sein Kopf war angefüllt mit seiner Muttersprache. Ständig musste er sich Szenen aus Lydias zukünftigem Leben ausmalen: Lydia im Pelzmantel und auf hochhackigen Schuhen, die an Greszlers Arm eine elegant möblierte Hotelhalle betritt; Lydia, die Greszler in der Garderobe Magenpulver verabreicht, seine weiße Krawatte richtet, ihm gestattet, ihr vor dem Konzert ein paar heimliche Koseworte zuzuflüstern; Lydia in einem riesigen Bett mit ihrem alten Liebhaber, dessen weiche, wallende Mähne auf dem blütenweißen Kissen ausgebreitet ist ...
    Die Köche, auch Sophie, riefen: »Spargel, Lev! Porree, Lev! Salatblätter! Pilze! Fenchel! Wo sind meine Okraschoten, Lev?« Irgendwann hatte er plötzlich GKs Gesicht direkt vor sich, er schrie: »Was ist heute Abend los mit dir? Weißt du nicht, wer da ist? Ist das nicht bis zu dir durchgedrungen?«
    »Nein, Chef.«
    »Howie Preece. Okay? Tisch drei, mit der lärmenden Neunergruppe. Scheiß Howie Preece, hörst du? Kapiert? Also beweg deinen Arsch. Konzentrier dich endlich.«
    »Entschuldigung, Chef. Wer ist Howie Preece?«
    »Oh, das ist großartig!« GK explodierte regelrecht. »Ich habe einen der berühmtesten jungen Künstler des Planeten in meinemRestaurant, und ich beschäftige Angestellte, die nicht wissen, wer er ist!«
    GK schleuderte eine Suppenkelle in die Luft, und sie knallte scheppernd neben Vitas’ Füßen auf den gefliesten Boden. Vitas schrie laut auf. GK schnippte mit den Fingern. »Heb das auf, Schwester. Sofort! «
    Vitas wischte sich die Hände an seiner nassen Schürze ab und hob die Suppenkelle hastig auf. Er wollte sie GK zurückbringen, aber der knurrte: »Sei nicht blöd, Vitas. Wasch sie, verdammte Scheiße!«
    GK schwirrte zurück an seinen Platz, die Schultern steif vor Ärger. Lev machte sich wieder an

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