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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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sie, wie ein Tänzer, mit den Armen hoch in die Luft stemmen.
    »Nein«, kicherte sie. »Nein!«
    »Du hast damit angefangen«, sagte er. »Jetzt bestrafst du!«
    »Nein, Lev! Das Wasser ist eiskalt! Christy, hilf mir!«
    Es gefiel ihm, wie sie mit ihm kämpfte. Obwohl er sie sofort hätte hochheben können, ließ er sie strampeln und stoßen. Er konnte das salzige Meer und ihren Körper riechen und war wieder ein junger Mann, ein unbekümmerter, glücklicher Idiot. Er glitt mit den Händen unter ihren Rock und er griff ihr an den Hintern und hob sie hoch.
    »Lass mich runter, Lev! Lass mich runter! Wenn du mich ins Wasser fallen lässt, bring ich dich um! Ich werde verdammt noch mal an Erfrierung sterben!«
    Sie schrie jetzt, lachte aber immer noch dabei. Lev lief mit ihr ins Meer, und die kalten Wellen strudelten um seine Knöchel und durchnässten ihm Schuhe und Socken. Er spürte ihre eisige Kälte, die wie Brausepulver in die Haut stach.
    »Lev, du bist verrückt!«
    »Ja«, sagte er. »Ich bin verrückt. Verrückt nach dir.«
    »Lass mich runter!«
    »Du weißt, dass ich verrückt nach dir bin?«
    »Ich weiß, ich weiß. Geh zurück.«
    »Ich glaube nicht, du weißt, wie verrückt ...«
    Sie musste sich an ihn klammern, um nicht zu fallen. Er hätte sie gern geküsst, aber er fürchtete, noch erregter zu werden, als er ohnehin schon war, also drehte er sich um und rannte mit Sophie in den Armen zurück, testete seine Stärke und spürte die Kraft seiner Glieder. Er sah Frankie, die auf und ab hüpfte und mit ihren dünnen Armen wedelte, und Christy, der den rosa Rucksack hielt, und weiter weg eine Reihe flotter kleiner, buntbemalter Strandhütten, und er dachte, wie schön es war, dass die Welt im Winter so strahlend sein konnte.
    Er setzte Sophie ab, und sie gab ihm einen Klaps gegen den Kopf. »Du bist doch ein Irrer«, sagte sie.
    »Sieh mal, Frankie«, sagte Christy. »Jetzt hat sich seine Hose voll Wasser gesaugt. Was für ein prächtiges Vorbild!«
    »Ich will ins Meer!«, sagte Frankie. »Ich will ins Meer!«
    »Allmächtiger«, sagte Christy. »Da siehst du, was du angerichtet hast, Lev. Das Meer ist kalt, Frankie. Kalt wie Schnee.«
    »Das macht mir nichts aus. Ich will da rein!«
    »Nein, nein, guck doch mal, wie Levs Schuhe aussehen. Du willst doch nicht, dass deine genauso werden.«
    »Doch, das will ich. Doch, das will ich!«
    »Okay. Okay«, sagte Christy und warf den rosa Beutel aufdie Erde. »Wir gehen ins Meer, aber zieh erst deine Schuhe und Socken aus, und das mache ich auch. Hat irgendjemand ein Handtuch mitgenommen? Sophie?«
    »Nein. Nur dieser Bekloppte hatte die Idee, sich nass zu machen.«
    »Macht nichts. Die Sonne trocknet uns. Schuhe aus.«
    Christy und Frankie setzten sich in den Sand und zogen ihre Schuhe und Socken aus. Frankie hatte schon hochrote Backen, und einzelne dünne Strähnen waren ihr aus dem Haarband gerutscht. Sie wartete brav, bis Christy ihre rosa Hose aufgekrempelt hatte, und stand dann auf. Zum ersten Mal an diesem Tag griff sie nach der Hand ihres Vaters.
    »Okay«, sagte er. »Los geht’s. Ich glaube, so wird’s gemacht in Silverstrand. Halt dich fest!«
    Lev sah zu, wie sie zum Wasser rannten, beide dünn und gelenkig und sehr schnell. Als sie das Meer erreichten, schrien sie schrill vor Schreck und vor Vergnügen. Christy begann, über die kleinen, sich brechenden Wellen zu hüpfen, und Frankie machte es ebenso, und um sie herum spritzte das Wasser auf und funkelte in der Sonne, und nach wenigen Augenblicken sah Lev, dass sie im Takt hüpften, wie Kinder beim Seilspringen.
    Lev grub die Füße in den weichen Sand, um sie zu trocknen. Sophie sah Christy und Frankie lachend zu. »Es ist doch verdammter Februar!«, sagte sie. »Wir sind alle völlig durchgeknallt.«
    Hinter den Strandhütten war auf einem Stück Brachland ein Jahrmarkt aufgebaut, und dorthin führte Christy sie als Nächstes. Der Platz war klein und fast leer. Mitten in ihrem eigenen Müll aus kaputten Styroportassen und Bonbonpapier und alten Zigarettenschachteln saßen Budenbesitzer auf Plastikstühlen und blinzelten in die Sonne. Ein Schild mit der Aufschrift Freddo, der feuerschluckende Irrwisch lag vergessen und halb versteckt im verdorrten Unkraut des letzten Sommers. Die Zuckerwattemaschine war mit der Botschaft Außer Betrieb beklebt.Aber irgendwo spielte blecherne Musik, und mitten auf dem Platz stand ein Kinderkarussell mit Autos, Flugzeugen, Raumschiffen und Panzern im Miniformat.

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