Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Frankie rannte sofort darauf zu, und Christy bezahlte für ihre Fahrt. Sie war das einzige Kind auf dem Karussell, aber der junge Helfer stand aufmerksam in der Mitte des Geräts und drehte sich wie die Figur einer Spieluhr, während hoch über ihnen Möwen in der blauen Luft kreischten.
    Christy, Lev und Sophie standen nebeneinander und rauchten, während Frankie, einen Plastikfeuerwehrhelm auf dem Kopf, stolz in einer Miniaturfeuerwehr saß und immer rundherum fuhr. Sie winkte ihnen, mit steifer, flacher Hand, wie eine Königin zu. Aber auf ihrem schmalen Gesicht lag ein Lächeln, und Christy sagte schließlich: »Jetzt ist sie glücklich, oder irre ich mich? Es gefällt ihr doch, oder?«
    »Sehr«, sagte Sophie.
    Christy berührte Levs Ärmel. »Schade, dass Maya nicht hier bei uns sein kann«, sagte er. »Habt ihr bei euch zu Hause auch solche Karusselldinger?«
    »Ja«, sagte Lev. »Aber ich muss sagen, schöner als diese Militärautos: hübsche bemalte Pferde und andere Tiere aus Holz. Sehr altmodisch. Die Kommunisten sind nie dazu gekommen, sie abzureißen.«
    »Das ist interessant«, sagte Christy.
    »Vielleicht ist ein Jahrmarkt schon sehr proletarisch, nein? Lohnt nicht, das zu zerstören.«
    »Könnte sein, könnte sein.«
    »In Baryn war der Jahrmarkt ein hübscher Platz. Wir sind immer hingegangen. Sogar Erwachsene mögen diesen Platz sehr. Man isst geröstete Sonnenblumenkerne, und man kann eine Volksmusikgruppe hören und auf Blechvögel schießen. Vor langer Zeit gab es Preise, aber jetzt gibt es keine Preise.«
    »Wieso?«
    »Weil, was hat jemand als Preis anzubieten? Ein Stück Kohle?Ein paar Wildblumen? Aber ich habe trotzdem immer die Blechvögel geschossen.«
    »Hast du sie getroffen?«, fragte Sophie.
    »Ja«, sagte Lev und legte ihr einen Arm um die Schultern, »mein Vater hat mir beigebracht. Wir übten immer mit richtigen Vögeln, in den Wäldern, bevor die Wälder gefällt wurden.«
    »Mit richtigen Vögeln geübt?«, sagte Sophie und entwand sich Levs Arm. »Das ist barbarisch.«
    »Nein«, sagte Lev. »Ich habe Spaß gemacht. Wir haben sie getötet, um zu überleben.«
    Das Karussell kam langsam zum Stehen, und Christy hob Frankie aus dem Feuerwehrauto und gab den kleinen Helm zurück.
    »Nettes Kind«, sagte der Gehilfe.
    »Stimmt«, sagte Christy. »Das ist sie.«
    Sie schaute sich um, was wohl als Nächstes dran war, welche nächste Attraktion. Sie erspähte einen Hotdog-Stand und führte sie dorthin, und Christy kaufte Hotdogs mit Zwiebeln und Senf, und sie setzten sich auf eine eiserne Bank und aßen. Eine Möwe landete zu ihren Füßen und schnappte nach den Krümeln. Frankie zupfte kleine Stücke von ihrem Brötchen und warf sie dem Vogel hin.
    »Mach das nicht, Süße«, sagte Christy. »Du hast doch gesagt, du bist hungrig. Also iss du es.«
    Lev sagte zu Frankie: »Das Erste, was ich in Großbritannien gegessen habe, war ein Hotdog.«
    »Wieso?«, sagte Frankie.
    »Wieso?«
    »Sie meint ›wo‹«, sagte Christy. »Du meinst doch, wo das war, Frankie?«
    »Ja«, sagte Frankie.
    »Also, Frankie, das war bei dem Fluss. In London. Ich sehe die großen Touristenschiffe. Ich denke, ich bin für immer allein ...«
    »Wieso?«, sagte Frankie.
    »Ach, du Elend«, sagte Sophie. »Ist das nicht herzzerreißend, Christy?«
    »Ja, wirklich.«
    »Und dann hast du uns getroffen: einen keltischen Klempner und eine Möchtegern-Köchin aus Godalming mit Größe zweiundvierzig! Ich wette, die beiden hast du nie kommen sehen!«
    Christy kicherte. Lev blinzelte. Er wusste, dass Sophie etwas gesagt hatte, worüber er wahrscheinlich hätte lachen sollen, aber er hatte es nicht verstanden. Manchmal konnte er Englisch nicht verstehen, und zwar ganz plötzlich, es kam ohne Vorwarnung, wie ein Anfall von Taubheit. Er starrte auf die Möwe, die sich den Schnabel mit hingeworfenem Essen vollstopfte. Er merkte, dass Frankie ihn anstarrte, während der Rest ihres Hotdogs in ihrer Hand kalt wurde. Er spürte, dass etwas an diesem Tag fundamental anders geworden war, wusste aber nicht genau, was.
    »Die Sonne ist verschwunden«, sagte Christy und schaute hoch in einen grauweißen Himmel. »Wie wäre es mit einem Besuch im Museum für Rettungsboote?«

13
Der Höhepunkt
    Auf Levs Handy landete eine SMS von Lydia: Wichtige Neuigkeiten. Treffen Sonntagmittag im Café Rouge Highgate?
    Lev rief an und erklärte, er habe schon versprochen, Sonntag nach Ferndale Heights zu kommen, und Lydia meinte sehr traurig: »Sie

Weitere Kostenlose Bücher