Der weite Weg nach Hause
die Vorbereitung der Champignons, die ihn nervten, da sie ihm immer wieder aus den Fingern flutschten. Er konnte spüren, dass Sophies Augen ihm im Rücken klebten. Plötzlich stand sie, statt GK, neben ihm und flüsterte: »Vermassel es nicht, Lev. Nicht heute Abend.«
Lev versuchte, sich besser zu konzentrieren. Normalerweise war er stolz darauf, dass er mit den Köchen Schritt halten und manche Wünsche sogar vorwegnehmen konnte, indem er darauf achtete, welche Bestellungen Jeb und Mario ausriefen, sie in seinem Kopf in der richtigen Reihenfolge speicherte und die passenden Gemüse bereithielt, bevor die Köche überhaupt danach verlangten. Er wusste, dass er heute Abend langsam war, nicht nur, weil er Tagträumen nachhing, sondern auch wegen des Wodkas, den er mittags getrunken hatte. Er hoffte, dass GK keinen Alkohol in seinem Atem roch. Er wartete sehnlichst darauf, dass die Küche endlich schloss. Er fühlte sich müde und sexuell erregt und traurig. In seinem erschöpften Hirn überlagerten sich Bilder von Marina in seltsamen Verformungen mit solchen von Lydia. Er wusste, erst wenn er mit Sophie schlief, würde er getröstet sein und wieder zu sich kommen.
Die Stunden wurden ihm lang. Obwohl die meisten Gäste gegen halb zwölf schon gegangen waren, bestellte die Gruppe von Tisch drei immer noch weiter Wein, Nachspeisen und Kaffee.GK sah heimlich zu ihnen hinüber. Gierig verschlang er mit den Augen Howie Preece, den Künstler. Einer plötzlichen Eingebung folgend, wies er Damian an, ihnen Champagner auf Kosten des Hauses zu servieren. »Sieh es als Lockvogelangebot«, flüsterte er Damian zu, »ich will, dass Preece und seine Freunde regelmäßig herkommen. Bring ihnen zwei Flaschen 05er Mumm mit den Empfehlungen vom Chef des Hauses, und dann werde ich erscheinen und ein bisschen Wie-geht’s-Ihrem-Vater-Charme versprühen, kapiert?«
»Mach ich, Chef. Und übrigens, sie haben vier Flaschen vom 96er Château Margaux getrunken.«
»Bingo!«, sagte GK und reckte die Faust. »Das gefällt mir. Und wie!«
Lev war fertig mit seiner Arbeit, aber er wollte nicht ohne Sophie aufbrechen, deshalb ging er zu seinem alten Arbeitsplatz, um Vitas zu helfen. Während beide beschäftigt waren, flüsterte Vitas: »Verrat es nicht dem Boss, aber ich hau hier bald ab. Jacek, der Freund, der mir das Handy besorgte, hat von einem Job gehört, demnächst auf dem Land. Gemüse ernten. Gutes Geld. Das werde ich machen. Und leben tun wir umsonst.«
»Umsonst leben, Vitas?«
»Caravan, Luxuswohnmobil. Jacek und ich teilen es uns. Jacek bringt es gerade auf Vordermann, und ich gehe auf jeden Fall.«
»Ich finde, das ist ein Jammer«, sagte Lev. »Jetzt, wo du die Arbeit gerade ziemlich im Griff hast, solltest du hier weitermachen.«
»Nein. Ich hasse es hier. Das habe ich dir doch gesagt. Ich hasse diesen Mann. Ich würde ihm am liebsten die Eier abschneiden, sie grillen und den Hunden vorwerfen.«
Eine Weile spülten sie schweigend. Dann sagte Lev: »Wie geht es deinem Hund, Vitas? Hast du was gehört?«
»Was von meinem Hund gehört? Nein. Hast du nicht gewusst: In unserem Land sind die Hunde ziemlich rückständig.Sie haben nicht gelernt, Briefe zu schreiben. Aber was ich mit Jacek machen werde: Wir werden einen Hund klauen und ihn mit ins Wohnmobil nehmen. Der gehört dann uns. So kann ich Edik vergessen − bis ich wieder zu Hause bin.«
»Und was wird mit dem Hund, den ihr klaut, wenn du wieder nach Hause fährst?«
»Wer weiß das schon, Kamerad? Was wird denn aus uns allen, wenn wir nach Hause fahren?«
Sie waren fast fertig mit den Töpfen. Lev warf die Spülmaschine für Gläser noch einmal an und begann, die Abtropfflächen trocken zu wischen. Als er sich umdrehte, sah er Sophie. Sie hatte eine frische weiße Kochjacke übergezogen, und ihr Mund leuchtete rot vom neu aufgelegten Lippenstift.
»Lev«, sagte sie leise, »ich gehe mit GK nach vorne ins Restaurant. Ich kenne Howie Preece durch Sam und Andy. GK hat mich gebeten, ihm bei seinem Auftritt beizustehen.«
Lev starrte sie, starrte ihren leuchtenden Mund an. Sein Herz schlug plötzlich schneller. »Nein ...«, sagte er.
»Lev, ich muss das tun«, zischte Sophie. »Mach jetzt keinen Aufstand. Nimm es einfach zur Kenntnis. Bis morgen.«
In der Belisha Road wartete ein Umschlag mit Inas Handschrift auf Lev. Sie hatte London »Lodnon« geschrieben, aber der Brief war trotzdem angekommen. Er enthielt ein Bild mit Schlittschuh fahrenden Kindern, das Maya
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