Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Kulturecke gehen.«
Sie kamen vorbei an riesigen Büscheln Schilfgras in zwölf Eimern, zwischen denen ein ehemals politischer Redakteur saß, den man seit Jahren kaltgestellt hatte, weil er in jeder seiner Moderationen die Frage gestellt hatte: »Was aber, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, würde Jesus dazu sagen?« Soviel Jesus wollte man nicht im Sender, und außerdem war der Redakteur einfach zu ehrgeizig gewesen – »er würde am liebsten auch ans Kreuz genagelt werden«, witzelte selbst seine Sekretärin, und so durfte er irgendwann nicht mehr moderieren und verlegte sich ganz auf den Nutzen des Schilfgrases für die Welt – Schilfgras als Salat, Bodenbelag, Heizmaterial, Perückenstoff und Tabak, zum Beispiel. Man ließ ihn machen, und er durfte Schilfgrasbeiträge für ein Greenpeace-Magazin drehen, die aus aktuellen Gründen dann meist im letzten Moment doch nicht gesendet wurden. Klara Zander erinnerte sich daran, wie sie ihn einmal für eine Frauenzeitschrift interviewt und er nach dem Lesen des Textes das Interview gestoppt hatte, weil es ihn nicht positiv genug zeigte. Heute, dachte sie, könnte er sich das nicht mehr leisten. Ihr fiel auch sein damaliger Anrufbeantworter ein, auf dem ein Kind mit naiver Engelsstimme dem Anrufer kundtat: »Papi und Mami und ich, wir sind gerade ganz lieb miteinander. Da wollen wir nicht gestört werden. Du mußt später noch mal anrufen. » Das hatte Klara an diese Türklingelschilder erinnert, auf denen gleich nach der Geburt der Name des Babys mit draufsteht – Karlheinz, Angelika und Kevin Neureuther, zweimal klingeln. Man konnte fast darauf wetten, daß diese Ehen nicht einmal bis zur Einschulung von Kevin halten würden.
Gleich hinter der Schilfgrasnische wurde soeben die Witze-Box aufgebaut. Hier durfte jeder, der wollte, Witze erzählen, danach auf einen Knopf drücken, und dann schepperte das Lachband. Ein Techniker überprüfte gerade schwitzend und fluchend die Anlage: »Eins-zwei-drei, Tescht, Tescht, Tescht«, sagte er ins Mikrofon und drückte den Knopf – brüllendes Gelächter. Verblüfft blieben einige Mitarbeiter stehen, und Dr. Gauselmann rief: »Laßt mich mal!« Er kletterte in die Witze-Box, räusperte sich, klopfte auf das Mikrofon und rief:
»Wer sind Sie eigentlich? fragte ich den Mann mit dem kurzen Bart, der mich morgens nie grüßte. Kennen Sie mich denn nicht? sagte der. Ich bin doch der Mann mit dem kurzen Bart, der Sie morgens nie grüßt.«
Der Dichter Donner lachte, Klara Zander lächelte, weil sie in diesem seltsamen Witz ihren alten, skurrilen Redakteur Ernst Gauselmann wiedererkannte, mit dem sie an so vielen Abenden, wenn die Anstalt schon leer und dunkel war, noch bis spät in die Nacht in seinem Büro gesessen und über Literatur, Liebe und Leben diskutiert hatte. Die Umstehenden starrten Gauselmann ratlos an, es herrschte Schweigen, nur Jessica rief: »Ja, und weiter?« Der Techniker sagte: »Knopf! Wenn der Witz fertisch is, müsse Se der Knopf drücke!« Gauselmann suchte, fand und drückte den Knopf, und befreiendes Gelächter vom Band rauschte auf.
In einer Seitennische mit dem Schild »Wie alles anfing« saßen die erste Fernsehansagerin des Senders, Renate Seibel, die älteste noch lebende Redakteurin – Waltraud Grunert vom Frauenfunk – und der fast achtzigjährige, längst pensionierte Kinderfunkredakteur Heinz Cohn. Sie wurden geschminkt für die Diskussion »Wie alles anfing«, die hier um 11.30 Uhr stattfinden sollte.
»Die Gruft!« murmelte Albrecht Donner düster, »da landen wir auch mal!« Klara grüßte vorsichtig Waltraud Grunert, die sie aber zum Glück nicht erkannte. Waltraud Grunert hatte damals jeden Volontär und jede Hospitantin einen einzigen Satz schreiben lassen und dann die Fehler gezählt. Nicht einer hatte den Satz in all den Jahren ohne Fehler schreiben können. Der Satz lautete:
»Das Fürstentum Liechtenstein liefert an Libyen Schlämmkreide, numeriert und in Stanniol verpackt«, und wieder wußte Klara Zander nicht, ob man Stanniol mit einem n schreibt oder mit zweien, aber wenigstens war sie nicht, wie die meisten, an der Schlämmkreide oder an »Libyen« gescheitert, das Waltraud Grunert beim Diktieren spitzmündig und richtig wie »Lübien« aussprach, und dann war doch das y so tückisch an anderer Stelle. Waltraud Grunert sah genauso aus, als würde sie auch jetzt noch, hochbetagt und längst pensioniert, dem hereinströmenden Publikum um 11.30 Uhr unverzüglich diesen Satz
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