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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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mal mit ihm einen Film gedreht hatte über Schauplätze der Literatur. In Thomas Manns Travemünde waren sie damals zusammen gefahren, der Kameramann hatte ihr nachgestellt, aber sie hatte nichts von ihm wissen wollen, und daraufhin hatte er sich so besoffen, daß das ganze Filmmaterial unscharf, verwackelt und unbrauchbar war. Auf eigene Kosten war er daraufhin bei Nacht und Nebel noch mal nach Travemünde zurückgefahren und hatte alles noch einmal nachgedreht, was sie ihm damals hoch angerechnet hatte. Wie hieß er noch? Neuerdings vergaß sie alle Namen. Donner half ihr aus der Klemme. »Richard«, sagte er, »Mensch, warum hab ich dich nicht bei den Moselweinen? Ich hab da so ein junges Bürschchen, das keinen Blick fürs Besondere hat und keine Ahnung vom Wein, und jeden Abend nach Drehschluß sitz ich allein in Traben-Trabach oder Trier in den Kneipen.« »Mich lassen sie nicht mehr raus«, sagte Richard, »bloß noch Studiokamera. Nur die Jungen fahren raus. So ist das. Alles nicht mehr wie früher.« Er schniefte, guckte kurz zu den beiden Köchen hoch und sagte: »Diese Volltrottel schon wieder.« Er zog Donner ein Stück weiter und haute ihm auf die Schulter. »Weißt du noch, die Günderrode?« sagte er. »Wie wir Spinnweben über den Grabstein gelegt haben, lauter anderswo geklaute Spinnweben? Was wär ich froh, wenn ich heute noch mal Spinnweben filmen könnte.«
    Klara dachte daran, wie mutig sich die Günderrode einen Dolch ins Herz gestoßen hatte, keine dreißig Jahre alt, und ob denn wohl bei ihr, Klara Zander, jetzt schon die Kleider- und Bücherkisten vor der Haustür standen.
    Ein kleines rotes Auto wurde mit »Vorsicht! Bitte Vorsicht!«-Rufen durch den Gang geschoben und mitten in das Schilfgras gestellt. Der kaltgestellte politische Redakteur wirbelte nervös darum herum und rief: »Vorsicht, das ist der Hotzenblitz, der fährt mit Schilfgras!« und drei junge Leute mit Kopfhörern und Popcorn blieben stehen. Er erklärte ihnen die vielseitige Verwendung von Schilfgras in einer Welt wie der unseren, aber sie nahmen ihre Kopfhörer nicht ab und hörten lieber ihren Technobeat. Als später in der Kulturecke über das Buch und das Lesen gesprochen wurde, waren die drei auch unter den Zuhörern, sie trugen noch immer ihre Kopfhörer und zuckten im Rhythmus hin und her, die Augen groß und erstaunt auf die drei seltsamen Menschen geheftet, die da vor Mineralwasser in schwarzen Ledersesseln saßen und mit Büchern herumfuchtelten – Gauselmann, Donner, Zander.
    Klara traf eine alte Bekannte wieder, die ihr versicherte, sie sähe fabelhaft aus und es wäre zu schön, daß auch sie zum Geburtstag des Senders angereist wäre. Und wie es ihrem Mann ginge? Klara wußte nicht, welcher gemeint war, murmelte ein vages »Gut, gut...« und hörte im Gegenzug von der Bekannten – schon wieder fiel ihr der Name nicht ein – die Geschichte ihrer Scheidung; nun aber sei sie sehr glücklich mit einem Redakteur aus dem Fernsehspiel, man wohne allerdings in getrennten Wohnungen, das sei überhaupt, wenn man sie frage, das ganze Geheimnis. Sie trug ein gelbes Kostüm, gelbe hochhackige Schuhe und sogar gelben Lidschatten und sagte: »Ich muß jede volle Stunde einen kleinen Bericht vom Fest machen. Aber nur im Dritten. In die Kulturecke komm ich auch.« »Bis dann!« sagte Klara und floh in ein kleines Studio, aus dem eine laute, kräftige Männerstimme drang. Das war das Astra-Studio, hier wurde erklärt, wie der Satellit funktioniert. Der Raum war wie ein Sternenhimmel gestaltet, düster mit einigen verwirrenden Leuchtpunkten, das waren die Satelliten. Auf einem Podium stand ein korpulenter Mann in einem schwarzen Anzug, er hielt ein Mikrofon in der Hand, obwohl man ihn in diesem kleinen Raum durchaus auch so verstanden hätte, und in dieses Mikrofon dröhnte er: »Wir versichern Ihnen, daß wir Sie mit Astra analog digital versorgen können.«
    Vor ihm standen als sein einziges Publikum zwei Kinder, vielleicht zehn, zwölf Jahre alt, die sich furchtsam an den Händen hielten und zu ihm aufschauten. Seine Sätze klangen vor diesem Publikum grotesk, Worte wie »analog« und »digital« hatten etwas Obszönes an sich, und die Kinder lauschten denn auch verschreckt und standen da wie angewurzelt. Sie hatten ganz offensichtlich Angst, Blitzschläge aus dem Satelliten, dem Mikrofon oder dem Mund dieses Mannes würden sie treffen, wenn sie sich auch nur einen Augenblick von der Stelle bewegten. »Drüben gibt es

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