Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
was sich da im Studio ereignete, immer blasser und verzweifelter auf seinem Stuhl herumgerutscht war. Eine Frau und drei Männer saßen damals in der Runde. Die Frau, eine Österreicherin, lebte seit Jahren in Italien und weigerte sich plötzlich, deutsch zu sprechen – Gauselmann aber sprach kein Italienisch. Der Kritiker einer bekannten Literaturzeitschrift schien unter Drogen zu stehen, er nuschelte leise, hielt die Hand vor den Mund und erging sich in geflüsterten Schnörkelsätzen, gespickt mit nie gehörten, imponierenden Fremdwörtern. Der Schweizer Schriftsteller, ein bekennender Homosexueller, erregte sich in schwerverständlichem Schwyzerdütsch und noch dazu mit einem gräßlich knatternden Sprachfehler, der das Zuhören vollends zur Qual machte, über das mangelnde Vorkommen der Homosexualität in der deutschsprachigen Literatur, und der großgewachsene deutsche Autor mit der hohen Stirn, der jetzt in Südfrankreich lebte, legte das imposante Haupt in den Nacken, schloß die Augen und antwortete auf jede Frage Gauselmanns mit »Dazu möchte ich mich nicht äußern!« oder »Diese Frage kann ich nicht beantworten!« oder »Das ist ein Themenkreis, der mich nicht interessiert«. Gauselmann sah nach mehreren Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, verzweifelt zum Kameramann, und die Regie hatte ein Einsehen, blendete »Tonstörung« ein und sendete ein älteres Interview mit Peter Ustinov. Gauselmann war damals tagelang krank gewesen, die mißglückte Sendung war Sendergespräch und rotierte als Lachband unter den Kollegen.
Während Albrecht Donner weiter von Hanno Seebachers trostloser Nachrufexistenz erzählte, gingen die drei für die Kultur Zuständigen durch die langen Studiogänge, in denen schon hektische Betriebsamkeit herrschte, obwohl das Publikum noch eine halbe Stunde vor den Toren warten mußte. Redakteurinnen, Maskenbildnerinnen, Kameraassistenten eilten auf und ab, suchten Mitarbeiter, Schminktaschen oder Ablaufzettel und riefen »Guten Morgen« oder »Na, das wird was werden« oder »Ich bin jetzt schon fix und fertig«. Im Sender waren alle Studios geschmückt und für das Fest hergerichtet worden. Gleich das erste Studio beherbergte eine Einrichtung, die sich »Gagtory« nannte. Mehr oder weniger junge Mitarbeiter eines Jugendprogramms fabrizierten hier akustische Gags. Genau für dieses Programm hatte Klara Zander vor vielen Jahren gearbeitet, als sie selbst noch jung und das Programm noch nicht zur Anderthalb-Minuten-Terrine verkommen war. Ein flotter Mensch mit kurzen Hosen, Kampfstiefeln und modischem Pilzhaarschnitt erkannte sie und sagte: »Ey, wenn du nachher mal Bock hast, kannst du bei uns rüberkommen, das wär geil, dann machen wir Quatschi-quatschi-Interview, paar blöde Fragen und so’n paar Jokes.«
Der Dichter Donner, der zum Frühstück im Hotel schon zwei Armagnac getrunken hatte, sah ihn mit geröteten Augen an, trat nah vor ihn und sagte: »Junger Mensch, wiederholen Sie bitte sofort diesen Satz in korrektem Deutsch!«
Dr. Gauselmann zeigte meckernd vor Freude über diese Belehrung auf den jugendlichen Gagspezialisten, der sich an die Stirn tippte und in seiner Gagtory verschwand.
Die Kulturredakteurin tauchte mit Jessica wieder auf, die jetzt auch ein Namensschildchen trug, ihren Literaturredakteur küßte und rief: »Ernst, stell dir vor, ich hab schon Ulrich Wickert und Pastor Fliege gesehen! Ich finde das alles wahnsinnig aufregend!«
»Der Pastor Wickert und der Pastor Fliege«, empörte sich Gauselmann, »diese Pest der Menschheit, diese selbsternannten Tugendbolde!« Und er zitierte Talleyrand und sagte zu Jessica: »Verbrechen ängstigt mich, aber Tugend macht mich schaudern!« Jessica wuschelte ihm durch die schütteren, grauen Haare, er bog angewidert den Kopf weg. »Sei doch nicht immer so streng, Purzel«, sagte sie. »Der Pastor Fliege ist doch so süß.« Und sie sah entzückt hinter Tony Marshall her, der mit großem Gefolge in einem lila Satinanzug fröhlich winkend den Gang herunter kam und mit dem Ruf »Hoja-hoja-ho!« im »Stimmungsstudio« verschwand.
»Hiob«, knurrte Gauselmann, »ich fühle mich wie Hiob, überhäuft mit Plagen. Nicht Elend und Aussatz, die Banalität wird uns umbringen, wir werden überhäuft mit den Plagen der Banalität.«
Klara Zander empfahl der Kulturredakteurin, doch jetzt schon mal unverzüglich die erste FlascheChardonnay zu öffnen.
»Gleich, gleich«, sagte Frau Dr. Schreiber-Kern, »laßt uns erst in die
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