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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Respekt vor Karl, der ununterbrochen mit den Armen fuchtelte und brüllte.
    »Du Wichser«, schrie er, »dir hau ich doch deinen eingebildeten Schädel kurz und klein! Macht er sich an fremde Frauen ran, die ihm nicht gehören, wo sind wir denn eigentlich, was glaubst du denn, wer ich bin, denkst du vielleicht, du kannst das mit mir machen, ja, denkst du das, du schwindsüchtige Kulturwurst? Falsch gedacht, Bürschchen, dir brech ich jeden Knochen, jeden, verstehst du!«
    Und er trat und prügelte, und dem Kulturredakteur, der immer schneller lief und seinen Kopf mit den Händen zu schützen versuchte, kam das Blut schon kräftig aus der Nase. Ein- oder zweimal hatte er zaghaft »Hilfe!« gerufen, aber niemand hatte darauf reagiert, außer Karl, der ihm noch einen Boxhieb in den Rücken versetzte und schrie: »Hilfe? Ich helf dir schon, du Trottel.«
    Einmal war eine alte Frau stehengeblieben und hatte vorsichtig gerufen: »Aber was machen Sie denn da?« und Karl hatte ihr ins Gesicht geschrien: »Sei froh, Mutter, wenn ich dich vor so was wie dem hier schütze!« und sie war erschrocken weitergegangen.
    Ich erzählte Karl von den beiden Künstlern, die immer nur schwarzes Leder trugen und einmal auf dem Domplatz eine Performance gemacht hatten mit dem Titel »Küsse und Schläge«. Abwechselnd hatten sie sich immer zwei Minuten lang innig geküßt und dann zwei Minuten lang aufeinander eingedroschen, und das bestimmt über eine halbe Stunde. Anfangs hatten die Zuschauer gestaunt, dann gelacht, dann applaudiert und das Ganze mit deftigen Kommentaren gewürzt. Aber nach und nach wurde die zusehende Menge immer unruhiger. Beide Künstler bluteten schon von den Schlägen und hatten sich beim Küssen die Lippen zerbissen, und erste Rufe wurden laut: »Scheißschwuchteln!«
    Und schließlich hatten sich Umstehende handgreiflich eingemischt, aber nicht bei den Schlägen, sondern bei den Küssen. Das war ihnen einfach zuviel, zwei Männer, die sich derart intensiv öffentlich küßten. Damit wurden sie nicht fertig. Aber Schläge – wen interessieren schon Schläge.
    Die Geschichte gefiel Karl.
    »Vielleicht hätte ich ihn ja mal küssen sollen«, sagte er, »aber der Kerl ist zu groß, ich komm nicht dran.«
    Wir lachten und bestellten uns noch zwei Tequila, und ich fragte: »Was hat es eigentlich gebracht? Hat er dich nicht angezeigt?«
    »Der«, sagte Karl verächtlich. »Der ist nach Hause geschlichen zu Marlene, die ihm vermutlich die Wunden geleckt hat. Ich hätte sie verprügeln sollen, nicht ihn.«
    Karl war mein ältester Freund. Wir kannten uns seit der Schulzeit. Wir haben zusammen Bob Dylan gehört und waren zu Lou-Reed-Konzerten getrampt, wir haben uns auf Demos verprügeln lassen und unsere ersten Joints zusammen geraucht, und als ich damals im vierten Semester heiraten mußte – jedenfalls dachten wir, daß wir müßten, so waren die Zeiten –, da war er mein Trauzeuge gewesen, obwohl er meinen Mann nicht leiden konnte. »Intellektueller Wichspinsel«, sagte er verächtlich und gab uns keine zwei Jahre. Aber er staunte doch darüber, daß mir der intellektuelle Wichspinsel derart schnell ein Kind angehängt hatte. Karl war natürlich auch Toms Taufpate geworden, und wie so oft wußte er auch jetzt, woran ich gerade dachte und fragte: »Und? was macht unser Tom so?«
    »Ach«, sagte ich, »brav wie immer, spielt Tennis, trinkt Cola light, der wird noch mal Polizist oder geht zur Jungen Union oder irgend so was, an dem werden wir nur Freude haben.«
    »Komm«, sagte Karl, der Tom gern mochte, »red nicht so über ihn, sei nicht ungerecht. Sei froh, daß er keine Drogen nimmt und in der Schule gut ist, du weißt, daß das heutzutage ein Wunder ist, oder? Das weißt du doch?«
    »Ja doch«, sagte ich, »klar weiß ich das, ich bin ja auch froh. Aber er ist so entsetzlich langweilig, Karl, er kennt die ersten dreißig der Weltrangliste im Tennis, er kann die Namen aller Ministerpräsidenten runterrasseln, und du solltest mal sein Zimmer sehen – da wird dir schlecht, so pingelig ist das aufgeräumt. Grauenhaft.«
    Karl nickte. »Wie sein Vater«, sagte er, »dieser Korinthenkacker. Weißt du noch, der schrieb alle seine Ideen zu Seminararbeiten auf Karteikarten, alphabetisch geordnet.«
    »Ob ich das noch weiß?« fragte ich. »Ich war mit dem Mann sieben Jahre zusammen.«
    »Hast du mal wieder von ihm gehört?« fragte Karl, und ich schüttelte den Kopf. »Nein, schon ewig nicht, ich glaube, er ist bei Ivan

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