Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Mann, breitbeinig, das Gesicht leuchtend, der Bart lang und weiß, die Augenbrauen gräulich, das Haar am Hinterkopf zu einem Zopf gebunden – es war der merkwürdige Kauz, der sie kurz vor der Landung in Bombay an der Reling so forsch angesprochen hatte. Ein Gnom fast, dessen Stirn sein Alter glättete. In seinen Augen lauerte eine verschmitzte Weisheit. Respektiere alles, legte sie nahe, und nimm nichts zu ernst. Ein Kobold als Hofnarr. Er hätte sichbestens als Figur in das Relief eines Hindu-Tempels eingefügt. Wenn es regnete, würde das Wasser über sein rundes Bäuchlein plätschern. Wie bekommt Ihnen das Feindesland? Der Kauz hatte ihn ebenso schnell wiedererkannt. Wie oft fluchen Sie über den Kommandanten, der Sie nach Baroda eingeteilt hat? Deswegen treffen wir uns heute, antwortete Burton, ich will dem Ennui entkommen, indem ich lerne. Ennui? Sie mögen ungewöhnliche Wörter? Sie müssen Sanskrit lernen. Die Welt ist erschaffen aus den einzelnen Silben dieser Sprache. Alles stammt vom Sanskrit ab, nehmen Sie das Wort Elefant, auf Sanskrit Pilu, wo besteht denn die Ähnlichkeit, werden Sie fragen, folgen Sie mir, nach Iran, dort wurde daraus Pil, weil die Perser kurze Endvokale ignorierten; im Arabischen wurde aus dem Pil ein Fil, denn das Arabische kennt kein P, wie Sie bestimmt wissen, und die Griechen, die hängten gerne ein -as an alle arabischen Begriffe, gekoppelt mit einer Konsonantenverschiebung haben wir schon ein elephas, und von dem ist es nur noch ein etymologischer Katzensprung zum Elefanten, wie Sie ihn kennen. Ich sehe, wir werden uns vergnügen. Übrigens, was bedeutet Ennui? Er ließ kein Schweigen aufkommen, es sprudelte weiter aus diesem alten Mann heraus, kaum daß die letzten Silben von Burtons Erklärung verklangen. Upanitsche ist mein Name, Sie haben ihn schon gehört, nun schreiben Sie ihn nieder, Upa-nitsche, in Devanagari-Schrift, so werde ich erkennen, wie es mit Ihren Kenntnissen bestellt ist.
Was für ein Selbstbewußtsein, Burton war irritiert, während er langsam Buchstaben niederschrieb, die sich wie Wirbel ausgestorbener Fische wanden. Dieser Mann war der erste Einheimische, der ihm gegenüber nicht duckmäuserisch auftrat. Im Gegenteil, das Verhalten dieses Lehrers, der gerade den einsamen Abdruck seines Wissens auf dem Blatt begutachtete, wirkte nahezu herrisch, so wie er mit der Zunge zuzelte. Dreimal. Ohne zu erkennen zu geben, ob er lobte oder tadelte. Er ergriff die Feder von Burton – sollte er nicht um Erlaubnis fragen? – und schrieb eine Zeile auf das Blatt. Können Sie das entschlüsseln? Burton verneinte. Des Gujarati nicht mächtig, konstatierte Upanitsche, als trage er Bausteine einer Diagnose zusammen. Was wollen Sie lernen? Es war an der Zeit, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Alles, sagte Burton. In diesemLeben? In diesem Jahr! Einige Sprachen zuerst, Hindustani, Gujarati, Marathi, ich will mich für die Prüfung in Bombay anmelden, das ist nützlich für die Karriere. Eile, sagte Upanitsche abschätzig, wir müssen sie überwinden. Das ist das erste, was wir zu begreifen haben. Wir sollten uns einigen, sagte Burton, auf Unterrichtszeiten und auf die Bezahlung.
Ich werde eine Woche lang Ihren Hunger prüfen, bestimmte Upanitsche, täglich am Nachmittag, bis es für Sie an der Zeit ist, zu Abend zu essen. Nach dieser Woche werden wir weitersehen. Und was Geld betrifft, ich kann es nicht von Ihnen annehmen. Weil ich ein Mletscha bin? Upanitsche lachte laut auf. Ich sehe, Sie haben es sich schon auf einigen Gemeinplätzen bequem gemacht. Ich habe viel Umgang mit Angrezi gehabt, für mich sind Sie weder ein Aussätziger noch ein Unberührbarer, Sie können beruhigt sein. Nein, es ist eine alte Tradition, wir Brahmanen verkaufen unser Wissen nicht auf dem Marktplatz. Allerdings – unterschätzen Sie nie den Einfallsreichtum der Brahmanen –, wir akzeptieren Geschenke. Zu Guru Purnima, an dem Tag, an dem jeder seinen Lehrer ehrt, erhalten wir Süßigkeiten, Sesambällchen, in denen sich eine bescheidene Münze oder ein kostbares Schmuckstück versteckt. Wir öffnen die Bällchen, wenn wir alleine sind, mit den Fingern, wie eine reife Guave-Frucht. Sie erkennen die Vorzüge dieses Brauchs. Die Schüler fühlen sich zu nichts verpflichtet, sie brauchen sich nicht schämen, wenn sie Mangel leiden und wenig abzugeben haben. Und wir Gurus schenken einige dieser Laddus weiter, an unsere eigenen Lehrer, an unsere Väter, wenn sie noch am Leben sein sollten.
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