Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
Vom Netzwerk:
Reaktion auf diese Auskunft. Dieser Mann war ein Haus mit zugenagelten Fenstern und Türen. Burton gab die Suche nach einem geeigneten Thema auf. In der Ferne zeichnete sich die Vindhyachal-Kette ab. Sie überquerten die Narmada bei Garudeshwar. Heiliger als jeder andere Fluß, bemerkte Burton. Er war nicht gewillt, das Schweigen hinzunehmen. Wußten Sie eigentlich, die Befreiung von der Sünde dauert am Jamuna-Fluß sieben Tage, am Saraswati drei Tage und am Ganges einen Tag, aber schon der Anblick der Narmada reicht aus, um aus aller Schuld entlassen zu werden. Raffinierter Mythos, meinen Sie nicht auch? Dreckwasser, sagte der Opiumhändler. Mit reinigenden Eigenschaften, erwiderte Burton. Der Opiumhändler gab seinem Pferd die Sporen. Burton holte ihn bald ein. Ich fürchte, sagte er, Sie kennen den Weg nicht. Und mit unserem Führer werden Sie sich schwer verständigen können. Er spricht ein abgerissenes Hindustani und nur ein einziges Wort Englisch: shortcut. Unverschämtheit, murmelte der Opiumhändler. Ein faszinierendes Detail noch über die Ganga. Weil sie so viele Menschen reinwäscht, wird sie selber unrein. Einmal im Jahr nimmt sie die Form einer schwarzen Kuh an und wandert zur Narmada, um in ihr zu baden, nicht unweit von hier. Das Dorf heißt … Bewahren Sie Haltung, Mann. Der Opiumhändler erhob zum ersten Mal seine Stimme. Sie haben recht, ich verliere mich in Details. Viel wichtiger, wenn die Kuh aus dem Wasser steigt, ist sie weiß, ganz und gar weiß. Tüfteln Sie das mal aus. Worauf Burton sein Pferd nach vorne trieb.
    Am nächsten Tag, nach dem Aufstieg in die Berge, erstreckten sichMohnfelder zu beiden Seiten des Weges über mehrere Stunden leichten Trotts. Von dieser Hochebene aus verdarb die Ehrenwerte Gesellschaft das Reich der Mitte. Ein elegantes Austarieren des Außenhandelsdefizits, hatte ein Kommentator der Times im Vorjahr geschrieben, als die Kämpfe in China beigelegt wurden. Ein einziges Mal hatte der Opiumhändler das Wort an ihn gerichtet. Sie trabten auf einen Karren zu, als er fragte: Was da wohl drin ist? In einem Tonfall, als wüßte er mehr, viel mehr, als augenfällig war. Heu, schätze ich, antwortete Burton. Den Anschein hat’s, aber trügt der Anschein nicht? Der Opiumhändler verfügte eindeutig über Herrschaftswissen. Neulich wurde ein Kerl aufgegriffen, er hatte den ganzen Karren voller Konterbande, unter dem Heu. Konterbande, fragte Burton scheinheilig, was denn für Konterbande? Beste Qualität, ein kleines Vermögen, das wir da beschlagnahmt haben. Mehr hatte der Händler nicht zu sagen, bis zu dem vernuschelten Abschied in Mhow. Burton überreichte dem kommandierenden Major eine Botschaft von dem Brigadier in Baroda und täuschte einen leichten Schwächeanfall vor, um dem gemeinsamen Mittagessen zu entkommen, das zweifellos den restlichen Tag erdrücken würde. Statt dessen schlich er sich nach draußen, um das Städtchen zu erkunden.
    Die Sonne hatte eine erbarmungslose Höhe erreicht. Einige Männer genossen den Schatten unter ihren Karren. Kühe mampften. Mehr geschah nicht in der Stunde des Zenits. Kommen Sie! Ein Junge hatte sich an seine Fersen geheftet. Kommen Sie mit! Sie müssen den Richter kennenlernen. Keiner darf diesen Ort verlassen, ohne Richter Ironside kennenzulernen. Am Ärmel wurde Burton durch die lehmigen Gassen gezogen. Der Junge, der neben ihm lief, zupfte immer wieder an seinem Ärmel und prahlte mit den Namen der hohen Herren, die er zum Richter geführt habe. Er zählte ihre Titel bereits zum dritten Mal auf, als sie das Gerichtsgebäude erreichten. Es war von einem Garten umgeben, mit dem sich die Gerechtigkeit vor dem Schmutz der Straße schützte. Der Tschoukidaar am Eingang riß sich am fleckigen Gurt, salutierte mit seiner Linken und gab nichts von sich, außer einem Rinnsal Spucke, das seinen Schnurrbart hinabkroch.
    – Vielleicht ist der Herr Richter heute nicht im Dienst?
    – Der Richter ist immer anwesend. Wo sollte der Richter sonst sein?
    Sie folgten einem Kieselweg, einst elegant mit Sträuchern bepflanzt, die inzwischen jedoch völlig verwildert waren. Der Rasen vor dem Portikus war übersät mit niederkauernden Einheimischen. Zwischen den Säulen kratzten Schreiber geflüsterte Eingaben aufs Papier und stempelten sie mit prüfenden Blicken ab. Der Junge betrat das Gebäude selbstbewußt, ohne um Erlaubnis zu bitten; es war allerdings auch keiner zu sehen, den er hätte fragen können. Unbehelligt passierten sie einige

Weitere Kostenlose Bücher