Der Weltensammler: Roman (German Edition)
So wird die Frage, wer welches Geschenk erhält, einer höheren Macht überlassen. Sie würden sagen, dem Zufall. Upanitsche redete wie ein Schauspieler mit übertriebener Phrasierung, der eine zu große Distanz zwischen den Hebungen und den Senkungen setzt. Zudem untermalte er seine Rede mit energischen und entschiedenen Gesten. Es war nicht vorstellbar, daß ihn etwas verunsichern könnte. Das entmaterialisierte Geschenk, unterbrach ihn Burton, ein höchst interessantes Konzept. Sie haben verstanden, gut, bei uns werden Geschenke nicht begutachtet, sobald wir sie erhalten haben, wir vermeiden peinliche Situationen, Geschenke sollen nicht vor aller Augen umdie Gunst des Beschenkten buhlen. Darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden? Kaum hatte er die rhetorische Frage ausgesprochen, richtete sich Upanitsche schon auf. Burton begleitete ihn zur Tür. Ich freue mich auf die Lektionen, Upanitsche Saheb. Nun, da wir uns einig geworden sind, können Sie mich Guru-ji nennen. Und übrigens, ich habe es Ihnen verschwiegen, bei uns hat sich der Shishia der Autorität des Gurus bedingungslos zu unterwerfen. Dem Guru gebührt shushrusha und shraddha , Gehorsam und blinder Glaube. Früher gingen die Schüler mit einem Holzscheit zu ihrem Lehrer, als Symbol für ihre Bereitschaft, im Feuer des Wissens zu verbrennen. Eigene Wege können sie beschreiten, wenn sie den Lehrpfad des Lehrers zu Ende gegangen sind.
Ein Amanuensis wartete im Schatten des Vordachs auf ihn, ein Junge, der ein Bündel trug, mit dem Schreibzeug des Meisters, wie Burton vermutete, und der sich beeilte, einen Sonnenschirm über seinen Herrn zu halten. Sie werden jetzt Ihre erste Lektion in Gujarati erhalten, sagte Upanitsche. Wir verabschieden uns, im Alltag, mit einem ao-jo, das bedeutet soviel wie: komm-geh. Ich gehe, damit ich wiederkommen kann. Verstehen Sie? Also, Mister Burton, bis morgen, ao-jo. Ao-jo, Guruji, sagte Burton, und im Augengrund seines neuen Lehrers erkannte er den Samen einer möglichen Freundschaft.
9.
NAUKARAM
II Aum Vidyaavaaridhaye namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Eins verstehe ich nicht. Dein Herr, er war Offizier, und doch scheint er seine Tage nach eigener Lust und Laune gefüllt zu haben?
– Er mußte einige Male nach Mhow reiten. Das war seine einzige Aufgabe, neben den Übungen mit den Sepoy natürlich. Jeden Morgen,außer am Sonntag, da gab es ein gemeinsames Gebet der Firengi. Aber Burton Saheb nahm daran nicht teil, er hatte wenig übrig für den Glauben seiner Leute. Es verwunderte mich. Er war mehr interessiert an Aarti, an dem Freitagsgebet, an Shivaaratri und an Urs. Es war merkwürdig. Ich habe ihn gefragt, später, als ich Fragen stellen durfte, die ein Diener seinem Herren üblicherweise nicht stellt, wieso er dem fremden Gebet näherstand als dem eigenen. Er sagte mir, die eigenen Bräuche seien für ihn nur Aberglaube, Hokuspokus …
– Was war das?
– Leere Sprüche, yantru-mantru-jalajala-tantru. Magie …
– Maya.
– Ja, wenn Sie so wollen. Die fremden Traditionen hingegen seien faszinierend, weil er sie noch nicht durchschaut habe.
– Hat er so lange gebraucht, unseren Aberglauben zu durchschauen? Du hättest ihn zu mir bringen sollen. Die Mantras sind Steine, die sich unsere Brahmanen aus dem Mund ziehen, und wir erstarren in Ehrfurcht, als würden sie uns etwas Wertvolles überreichen. Ist dir aufgefallen, die Zauberer schwenken bei ihren Kniffen oft Fackeln, um uns abzulenken, genauso wie es die Priester während des Aarti tun. Gleiche Handhabung. Gleiche Illusion.
– Ich bin nicht ein so großer Mann wie Sie, ich kann mich nicht darüber lustig machen.
– Meine Worte waren ernst.
– Oim aim klim hrim slim.
– Willst du mich beleidigen!
– Nein, nicht zu dem Preis, den Sie verlangen. Ich kann mir keine Beleidigung leisten. Ich will weitererzählen, wir sollten nicht über uns reden.
– Vor allem solltest du nicht vergessen, wem du Respekt schuldest.
– Sein Regiment hatte eine einzige Aufgabe. Solange wir in Baroda waren, wurde es nur einmal im Jahr eingesetzt. Als Schutz, nein, eher als Ehrung, für den Maharaja, zu Ganesh Tschathurti. Die dreihundert Sepoy und die Offiziere, sie marschierten zum Palast, in ganzer Montur, mit den Musikern, die Teil des Regimentes waren.Sie begleiteten die Prozession zum Vishvaamitra-Fluß. Sie spielten so laut sie konnten, damit alle sie hörten über den Klang der Glocken und der Becken und
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