Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Kazeh zu erwerben.
Auf der Rückreise nehmen sie einen anderen Weg. Dem Sumpf am Malagarasi setzt man sich nur einmal aus. Die Idylle, denkt Burton, ist eine Tasse mit schmutzigem Rand. Tee in der Tasse, kalte Hühnerbrühe in der Untertasse. Flecken auf der Zungenspitze. Bitter ist die Zeit, denkt er, und er nimmt sich vor, dem Denken abzuschwören. Zumindest, bis sie Kazeh wieder erreicht haben. Hast du die Mücke gesehen, ruft Speke, sie war riesig, wirklich riesig, so eine Mücke hast du noch nie gesehen. Was muß das Land arm sein, daß Speke sich mit Mücken abgibt. Am Wegrand ein ausgehöhlter Baum, breit auseinandergerissene Lippen, aus denen ein ovaler Schrei dringt. Was für Eigenarten werden unter den frisch geschnittenen Dächern aufbewahrt? Der erste, dem sie begegnen, geht am Stock, das bedarf keiner Erklärung, sein Gebrechen, das Bein, das er abstützt, die Haut verschrumpelt wie Rinde, das Knie nicht mehr zu sehen, dieser Mann hat links das Bein eines Elefanten und rechts das Bein eines Menschen, und er ist jung, sein Gesicht sieht gesund aus, völlig gesund, kein bißchen verhärmt trotz seines verkrüppelten Beins, das er herumschleppen muß, das ihn verurteilt, ein Aussätziger zu sein in diesem Dorf, wer will so etwas Widerliches sehen. Der nächste Dorfbewohner hat ein ähnliches Gebrechen, am anderen Bein, das noch schlimmer verwachsen ist, nur die Zehen menschlich geformt, die Schwellung beginnt am Spann. Die Haut ist verdickt und entzündet, an manchen Stellen eingerissen, an anderen aufgeplatzt. Der dritte läßt seinen Atem stocken, er steht auf zwei Elefantenbeinen, sein Oberkörper ist ausgemergelt, es kann nicht anders sein, als daß sein Oberkörper abmagert ist, je mehr seine Beine auswabbelten. Alle sind so, wird ihm schlagartig bewußt, alle Bewohner dieses Dorfes, die stumm vor ihren Hütten sitzen oder ohne Gruß an ihnen vorbeihinken, jetzt sieht er es, Ellbogen verschwunden, Oberarm ein aufgeweichter Kürbis, Unterarm ein breiter Schlauch mit Wasser, der von dem Knochen hinabhängt, linke Brust angeschwollen fast bis zum Oberschenkel, Gekröse über Haut gekrochen, über die rechte Brust, über das linke Bein, oder umgekehrt, das Falsche in allen Kombinationen, in diesem Dorf. Das Kranke nach außen gewandt, das Dämonische. Als herrsche in ihren Körpern Hochwasser.
Er erblickt einen Mann mit Kopfschmuck, als einziger sitzt er auf einem Hocker, um ihn herum Männer und Frauen im Sand, bestimmt der Phazi, mit einem entspannten Ausdruck auf dem Gesicht trägt er etwas Unverständliches vor, und er versteckt nichts, seine Hoden sind so groß wie ausgewachsene Papaya, der linke Oberschenkel hängt hinab wie ein übervolles Euter, der rechte Unterschenkel überzogen von Geschwüren, wie die Würmer, die sich im Inneren des Körpers schlängeln, und am Ende seines Beins ein Klumpfuß, ohne Zehen, ohne Ferse. Alles ist klar, denkt Burton, ich habe das Herrschaftsprinzip begriffen, in diesem Dorf wird derjenige Häuptling, der den größten Hodensack hat. Er würde gerne halten, mit diesen Menschen reden, ihnen erklären: Die Götter belieben zu scherzen, sie begehen Fehler, sogar bei ihren eigenen Söhnen, ihr kennt Ganesh nicht, erlaubt, daß ich euch von ihm erzähle, sein Zustand hat mit dem euren durchaus etwas gemein. Burton wird weitergetragen, von seinen Schritten, von der unaufgeregten Bewegung der Karawane, als hätten die anderen es nicht gesehen, nicht bemerkt, daß selbst die Beckenglieder der Maultiere in diesem Dorf verdickt sind, ausgeweitet, als seien Esel mit Elefanten gekreuzt worden, und ihn quält eine Frage, sie quält ihn wie ein Sandkorn unter der Fußsohle, etwas, das ihn an dem Anblick des Phazi verstörte, der Penis, es fällt ihm ein, wo war der Penis, er spricht es laut aus, ich habe den Penis nicht gesehen. Und Speke, der neben ihm hergeht – wie lange schon? –, sagt: Das müssen wir nicht wissen.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Fühlt ihr auch, meine Freunde, wie es kalt wird? Es ist die Jahreszeit, natürlich, und es ist mehr als nur die Jahreszeit. Ich habe das Gefühl, als würde die Kälte von diesem Stein aufsteigen und in meinen Körper dringen. Es gibt Abende, an denen kann ich mich nicht wärmen, egal, wie viele Umhänge die Mutter von Hamid mir um die Schultern legt. Die Kälte, sie setzt sich nicht im Fleisch fest, nein, sie dringt in die Knochen ein, keiner hat mich gewarnt, wie kalt die Knochen werden können, wie kalt das
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