Der Weltensammler: Roman (German Edition)
wollte sie mit meinen Händen zerdrücken, ich flehte sie an, mich in Ruhe zu lassen, ich flehte Gott an, ich wußte nicht, wie ich in meinen Kopf hineinkommen sollte, Sidi,es gab keinen Weg in meinen Kopf hinein, ich wollte heißes Öl in mein Ohr gießen, ich konnte kein Feuer machen, alles war feucht, ich habe mir mit den Fäusten gegen den Kopf geschlagen, aber das Flattern hörte nicht auf, ich schlug mit dem Kopf gegen den Boden, das Flattern hörte nicht auf, es war stärker als alle Schmerzen, ich hätte mir die Hand abhacken können, es hätte mich nicht von diesem Flattern abgelenkt. Ich konnte an nichts anderes denken, nichts anderes hören, nichts anderes fühlen. Ich habe ein Messer genommen, ich habe die Spitze des Messers in mein Ohr gedrückt, ich wußte, ich mußte vorsichtig sein, aber meine Hände zitterten, und ich hatte keine Geduld mehr, es knirschte, ein Schmerz, ein jäher Schmerz, wie ein Schrei, das Flattern hörte auf, ich ließ das Messer fallen und legte mich auf den Boden, und ich hatte in diesem Augenblick soviel Angst, wie noch nie zuvor in meinem Leben, ich hatte Angst, ich würde das Flattern wieder hören, es könnte zurückkommen. Es war weg, mein Ohr fühlte sich naß an, ich berührte es, und ich spürte, es war Blut auf meinen Fingern, aber das Flattern war nicht mehr da. Wieso hast du mich nicht um Hilfe gerufen? sagte ich. Was hättest du getan, Sidi, wie hättest du mir helfen können? Ich hätte die Kerze dicht an dein Ohr gehalten, das Licht der Kerze hat diesen Käfer in dein Zelt gelockt, ich hätte das Tier mit demselben Licht herausgelockt, es wäre von alleine herausgekrochen. Das sagte ich ihm. Statt dessen hatte er sein Ohr verletzt, schwer verletzt …
– Warte, was hat dieser dumme Mann gesagt, als du ihm eine bessere Lösung genannt hast?
– Nichts. Er hat mich nur angestarrt mit einem seltsamen Blick, den ich nicht verstanden habe. Es wurde schlimmer. Das Ohr entzündete sich, es wurde ganz eitrig, das Gesicht von Bwana Speke verzog sich, und sein ganzer Hals war von Beulen überzogen. Er konnte nicht mehr kauen, ich mußte ihm Suppe kochen und sie ihm eintröpfeln, wie einem kleinen Kind. Er hörte auf dem Ohr so gut wie nichts, und es entstand ein Loch, und wenn er sich die Nase schneuzte, ploppte es dumpf aus dem Ohr heraus, wir mußten lachen, und er wurde darüber noch gereizter. Monate später kam ein Teil des Käfers heraus, zusammen mit dem Ohrenschmalz. Aus dem anderen Ohr!
– Nein!
– Wir wissen, Baba Sidi, wir haben den Teil des Abends erreicht, an dem du deine Späße mit uns treibst, aber das, das können wir dir nicht abnehmen. Soll der tote Käfer durch den ganzen Kopf gewandert sein, um am anderen Ende herauszukommen?
– Es gibt seltsamere Sachen als diese.
– Gewiß, aber ob wir einer Lüge glauben, hängt nicht allein von ihrer Größe ab.
– Unsere Rückkehr nach Ujiji war sehr unangenehm. Bwana Burton, er war dem Tode entronnen, er hatte etwas Schwieriges vollbracht, also erwartete er von uns, unsere scheinbar leichte Aufgabe erledigt zu haben. Er war entsetzt, Bwana Speke war niedergeschlagen, sie sprachen einige Tage nicht miteinander, dann entschieden sie, den See trotzdem zu erkunden, und so stiegen wir wieder in die Kanus, dreiunddreißig Tage waren wir unterwegs, nur um aus zuverlässiger Quelle zu erfahren, der Ruzisi fließt in den See hinein, und wenn einer von uns geglaubt hatte, dies sei der Endpunkt der Enttäuschung, wurde er bei unserer neuerlichen Rückkehr nach Ujiji eines Besseren belehrt, denn in den dreiunddreißig Tagen unserer Abwesenheit war der treue und gutherzige Said bin Salim …
– Von dem du sagst, er hätte seine eigene Mutter verschachert?
– Genau der, er war zu der Erkenntnis gelangt, die Wazungu seien bestimmt gestorben und keiner könne es ihm verübeln, wenn er einen Großteil des Proviants verkaufte. Wie sollten wir nach Kazeh zurückkehren, ohne Nahrungsmittel, ohne Tauschware? Sollten wir betteln oder rauben? Es gab keine Lösung, je länger wir nachdachten, desto klarer wurde uns unsere Ausweglosigkeit, und doch wurde sie mit einem Schlag verscheucht, oder besser gesagt, von einigen Gewehrsalven zerrissen, Schüsse, die wie gewohnt die Ankunft einer Karawane verkündeten, und tatsächlich, diese Karawane schleppte den Nachschub mit, den Bwana Burton vor langer Zeit angefordert hatte, nicht die richtige Munition zwar, doch immerhin Stoff genug, um Nahrung für unsere Rückreise nach
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