Der Weltensammler: Roman (German Edition)
einverleibt von einem allgegenwärtigen Rutschen, er tritt aus, er sucht nach Halt, sein Bein ist eine nutzlose Pumpe, ein stumpfer Anker, und er rutscht weiter, in den Fängen einer ungeheuren Macht. Ein Gedanke drückt sich auf: Das Lager, das gesamte Lager wird weggeschwemmt. Wir werden im Schlamm begraben. Er schreit: Jack, schreit er, Jack. Etwas Schweres schlägt ihn nieder, der Schmerz sitzt auf Höhe seiner rechten Niere, er rollt, sein Gesicht wird in den Boden gedrückt, sein Schrei füllt sich mit Schlamm, der in seinem Mund brodelt, als würden Maden entschlüpfen. Er versucht sich mit den Armen abzustoßen, aber sie versinken in einem tiefen Teig, er wird nach unten gezogen, weiter, er wird untergehen, er wird lebendig begraben werden, verdammt, das ist ungerecht.Sein Kopf schlägt gegen einen Stein, er wird erneut umgeworfen, gewälzt, gemahlen, auf dem schlammigen Acker seines Gesichts spürt er auf einmal Luft, er atmet ein, durch die Nase dringt ein Hauch, morastschwer, er traut sich zu husten, und dann schreit er wieder: Jack, schreit er, einige Male, und dann schreit er: Bombay. In der Wirbelschleuder von Geräuschen hört er keinen einzigen menschlichen Laut, nicht einmal ein Grunzen. Wo sind die anderen? Das ist sein letzter Gedanke, bevor er ins Wasser fällt, als hätte der Hang ihn weggeschüttet, er fällt in eine andere Kälte, und er weiß nicht, wo oben ist und wo unten, aber umgeben von Wasser beruhigt er sich ein wenig. Auch das Wasser bewegt sich, es bewegt sich mit ähnlicher Entschlossenheit, aber mit weniger Hysterie. Er fühlt sich sicherer im Wasser, er streckt seine Glieder aus, seine schweren Glieder. Er hat keine Angst mehr. Ich kann nicht ertrinken, denkt er, als sei jede weitere Bedrohung nichtig, sobald die Gefahr, vom Schlamm lebendig begraben zu werden, vergangen ist. Gelegentlich sind sich die Fluten einig, ein Chor im Crescendo, er kann seinen Kopf ein wenig heben, und er kann um sich blicken, in eine tintige Vergeblichkeit hinein, doch manchmal zerren verschiedene Stimmen an ihm, saugen um die Beute, er ballt sich zusammen, er wartet darauf, gegen einen Felsen geschleudert zu werden. Oder an Land. Er bekommt etwas zu fassen, etwas Langes, Faseriges, er hält es fest, das Wasser schnellt an ihm vorüber. Die Wurzel – die Liane? – in seinen Händen fühlt sich an wie der ausgerenkte Arm eines Klammeraffen. Er hält sie eine lange Weile fest, nur fest, mit dem Rücken zum davoneilenden Wasser. Dann ruckt er an ihr, ein erstes, vorsichtiges Mal. Der Widerstand bekräftigt seine Versuche. Griff um Griff zieht er sich aus dem Wasser, bis er etwas Festeres unter seinen Füßen spürt, aber er traut sich nicht aufzutreten, die Wurzel loszulassen, aus Sorge zu versinken. Es scheint ihm, als würde es heller werden, um ein Iota nur. Er kann Büsche erkennen, verqueres Geäst, das Ufer, dem er sich entgegenzieht, er ist nur noch einen ausgestreckten Arm von diesem Ufer entfernt, da schnappt etwas und er wird zurückgestoßen, Wasser dringt in seinen Mund, in seine Nase. Mit der Linken klammert er sich an die Wurzel, und er schüttelt seinen Kopf, um sich vom Wasser zu befreien, und er bellt wie ein asthmatischerHund, bis das Wasser ausgestoßen ist und seine Brust sich anfühlt wie geschmirgelt. Er glaubt wegzutreiben, bis er merkt, daß er zurückgehalten wird. Die Wurzel hat sich nicht losgelöst von dem entrissenen Ufer. Wieder zieht er sich an ihr heraus, und dieses Mal erfährt er keine Überraschung, er erkennt die Umrisse eines Baumstammes, den er gierig umarmt. Als er ihn losläßt, kann er nur noch zu Boden gleiten und mit tiefen Atemzügen die Auszeit verorten. Er liegt bewegungslos da, gedankenlos. Bis der Instinkt sich meldet: Du mußt etwas tun. Aufgerichtet sieht er ein Wunder. Die Wehrreihen der Wolken ziehen sich zurück, und ein Leuchten breitet sich aus über Fluß und Ufer, die vergessene Gegenwart eines fülligen Mondes. Er steht auf, er hält sich am Baumstamm fest und prüft den Boden auf seine Festigkeit. Er tritt so nahe an das Wasser, wie ein sicherer Stand es erlaubt. Er späht über die Fluten, er traut sich, das Ufer abzusuchen. Unweit seines Landeplatzes sieht er eine Sandbank. Und über ihr, zwischen zwei Bäumen verfangen, glänzt der Rücken eines Segeltuches. Er befreit es von den kleinen, gekrümmten Dornen des Geästs und rollt es auf. Der Mond hat inzwischen alle Barrikaden zur Seite gestoßen. Die Landschaft, die sich ihm offenbart, ist nur
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