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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Glieder gepeinigt von Krämpfen, seine Gesichtsmuskeln angespannt, steif, die Augen gläsern. Er beginnt zu bellen, mit einer merkwürdigen, ungleichmäßigen Bewegung des Mundes und der Zunge. Er kann kaum atmen. Sein Verstand klart auf in der Überzeugung, er sei dem Tod nahe, und er bittet Burton um Papier und Stift, und mit zitternder Hand schreibt er einen wirren Abschiedsbrief an seine Mutter und seine Familie. Aber sein Herz kann nicht aufgeben. Die kleinen stechenden Eisen ziehen sich allmählich zurück. Stunden später murmelt er, Burton nimmt es im Halbschlaf wahr: Die Messer sind zurück in der Scheide.
     
     
     
    SIDI MUBARAK BOMBAY
    Unser Leid kannte keine Grenzen, kaum verging der eine Schmerz, brach ein anderer aus, kaum war eine Last abgelegt, kam eine neuehinzu, und ich habe mich oft gefragt, wie halten wir es aus, wie halten es die Wazungu aus, die aus einem Land kamen, in dem alles anders war als bei uns, die Hitze, die Tiere und sogar die Krankheiten. Und erst spät auf der ersten Reise begriff ich, was ich von Anfang an hätte wissen sollen, die Wazungu fühlen sich ohne dieses Leiden nicht lebendig, erst knapp vor unserer Rückkehr wurde mir klar, sie sind von dem Leiden abhängig wie andere von Alkohol oder von Khat oder vom Ganja. So überraschte es mich nicht, die Wazungu wiederzusehen, keine zwei Monsune später, Hamid war noch nicht geboren. Bwana Speke war wieder in Sansibar, diesmal mit einem anderen Begleiter, auch das überraschte mich nicht, einem stillen Mann namens Bwana Grant, der ein langweiliger Ersatz war für Bwana Burton. Auch die anderen, Bwana Stanley und Bwana Cameron, sie kehrten immer wieder zurück, es zog sie zu ihren Leiden, alle, außer jenen, die nicht überlebten. Kaum war die Gesundheit wieder in ihre Körper eingekehrt, begannen sie die nächste Reise zu planen, und es war ihnen mitnichten daran gelegen, zu einer bequemeren oder einfacheren Reise aufzubrechen, oh nein, im Gegenteil, beim nächsten Mal suchten sie noch mehr Schmerzen auf, segelten sie noch näher am Tod, sie waren wie ein Fischer, der sich nicht damit zufriedengibt, das Riff überwunden zu haben, der es immer wieder versuchen muß, an Stellen, die nicht zu durchschiffen sind, Stellen, an denen das Boot am Riff zerschellen muß.
    Bwana Burton, er war der Schlimmste, er wollte das Leiden nicht einmal unterbrechen, er wollte nicht abwarten, bis er in sein Land zurückgekehrt war, um erneut aufzubrechen. Wir hatten Zungomero erreicht, wir wußten, von hier aus ist es ein halber Monat bis zur Küste, wir sahen unsere Häuser und unsere Familien vor uns, zumindest jene, die Häuser und Familien hatten, sie waren nur noch einen letzten halben Monat Anstrengung entfernt, da sagte Bwana Burton, wir müßten noch den Weg nach Kilwa ausfindig machen. Welches Kilwa? fragte ich, denn ich traute mich als erster, ihm offen zu widersprechen. Die alte Stadt im Süden, antwortete er. Sprichst du, fragte ich ihn, oder spricht das Fieber aus dir? Wenn du kein Verlangen nach Rückkehr hast, dann bist du jedem anderen Menschen ein Rätsel, dann mußt du den Rest des Weges alleine beschreiten,denn wir alle haben nur noch ein Ziel. Ihr werdet tun, was ich euch befehle, rief er, mit einer Lautstärke, die bestimmen wollte, aber in einem Tonfall, der verzweifelt klang. Ich blickte um mich, blickte die Überlebenden an, und in diesem Augenblick waren wir uns alle einig, wir würden uns weigern, sofort, ohne weiteres Zwiegespräch, und so wandten sich die Träger ab, die Belutschen wandten sich ab, und auch Said bin Salim und Sidi Mubarak Bombay wandten sich ab von Bwana Burton, der alleine zurückblieb, ein Verrückter, der seinen Wahn keinem anderen Menschen mehr aufzwingen konnte.
     
     
     
    Es hat aufgehört zu regnen, endlich; die Erde ist noch schwer von dem tagelangen Niederschlag. Er hört ein Trommeln – oder täuscht er sich? –, ein unbekanntes Trommeln, das noch bedrohlicher klingt als das Platzen der Tropfenpatronen. Ein Gezischel zudem, und noch bevor er aus dem Zelt stürzen kann, braust es heran, ein Geräusch, das ihn um so mehr beunruhigt, da er es nicht deuten kann. Draußen, in einer von unverständlichen Lauten erleuchteten Finsternis, wird ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, augenblicklich, noch bevor er sich umsehen kann. Die Erde bewegt sich, in seinem Hörschatten fällt der Hang in sich zusammen. Burton stürzt, er liegt auf der Seite, mit wehen Rippen, das rechte Bein hochgestreckt,

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