Der Weltensammler: Roman (German Edition)
ineinander über. Straßen gibt es keine, nur äußerst enge Gassen. Der einzige offene Platz ist der Basar, ein armseliges Exemplar eines Marktplatzes, die Läden brüchig geschützt von einem Dach aus Dattelblättern, das weder dem Regen noch der Sonne standhält. Meistens stinkt es zum Himmel, die Kanalisation ist eine vage Absicht. Aber sorgt Euch nicht, es gibt eine Prophylaxe gegen Cholera und Typhus, wie auch gegen Schuß- und Stichwunden, sogar gegen Dummheit und Verbohrtheit – sie heißt Glück, und ich habe diese Prophylaxe getroffen. An guten Tagen verdanken wir dem Meer etwas frische Luft. Bei Ebbe erhebt sich eine Reihe von Schlammbänken aus dem Hafenbecken. Sie bocken die Schiffe auf, die mit schiefem Bedauern dieses Intermezzo erdulden. Der Boden hier ist aus Lehm, so dickschädelig wie die Menschen, wir müssen die Pflöcke mit Hauruck einhämmern. Erst wenige Bungalows sind errichtet, aber die Mächte, die unser Schicksal blind und stotternd verwalten, haben die Zukunft wohl bedacht. Eine Pferderennbahn ist unser aller Stolz. Wie werden wir beurteilt werden, einst, wenn Napier der Unnachgiebige so heldenhaft im Mythos leuchten wird wie Alexander der Große? Wie wird die Menschheit einer Zivilisation gedenken, die eine Pferderennbahn anlegt, noch bevor sie einen Gedanken an eine Kirche oder eine Bibliothek verschwendet? Sind wir das Abendland von Jesus oder von Equuleus?
›Sindh-Hind‹ war der Name, den arabische Kaufleute für diesen Teil der Welt kannten: ›Sindh‹ war das Land diesseits des Indus, Hind, das eigentliche Indien, lag am jenseitigen Ufer. Ich bin also von Hind nach Sindh, ach, wäre ich nur bei meinem bewährten Konsonanten geblieben. Ghorra, was für ein unglückseliges Loch, ein trostloser Aufwurf von Fels und Ton, ein Haufen schmutziger Schuppen aus Lehm und Flechte. Was hier wächst, wuchert, eine magere Ausbeute an Dornen und Feuerpflanzen, gerade einmal ausreichend, um die Kamele zu füttern, die alles niederkauen. Liebe Schwester, geschätzterSchwager, ich bin mir nicht sicher, ob dies die Hölle ist (unsere Vorgesetzten halten solche Informationen vor uns geheim), aber es ist ein Land des grellen Widerscheins, eines Glanzes, der alles ausradiert, einer Hitze, die aufkocht und ausdünstet, bis das Gesicht der Erde sich häutet, sich abschält, bis es aufplatzt, aufreißt und fiebrige Blasen wirft. Ihr könnt Euch vorstellen, ich fühle mich wie ein Fisch im Wasser, und mein Körper schreit täglich nach neuen Herausforderungen. Manchmal schreit er allzu laut. Die Kadaver von fünfzig Kamelen – nein, Schwester, ich habe sie nicht gezählt, es handelt sich hierbei um eine olfaktorische Schätzung – verfaulen neuerdings in der Nähe des Lagers. Als ich, in einiger Entfernung, versteht sich, vorbeischritt, überraschten mich zwei fette Schakale, die aus ihrem kleinen Speisezimmer im Bauch eines Kadavers krochen, ganz schlaff von ihrem heißhungrigen Mahl.
Sorge dafür, daß Du nie hierher versetzt wirst, Bruder, dieses Land ist wie geschaffen für den Krieg, ich rieche geradezu den Ruhm, den unsereiner erringen könnte, aber in Friedenszeiten ist es hier so aufregend wie auf einem Friedhof, der von einem Sandsturm begraben worden ist. Ja, das Land ist sandiger als der Schnurrbart eines Schotten. Bleibe bei der schönen Lanka – heißt es die oder der Lanka? Du siehst, nicht einmal der Geschlechter kann ich mir mehr sicher sein. Für den Fall, daß es Dich wider Erwarten hierher verschlägt, werde ich Dir Bericht erstatten von den Bordellen unseres großen Dorfes. Es sind derer drei. Erstaunlich nicht? Eine Pferderennbahn und drei Bordelle. Was braucht der Engländer mehr? Eines der Bordelle ist eine genaue Kopie der Frauenhäuser (wie mein treuer Diener Naukaram zu sagen pflegt) in Bombay und Baroda, eine halbwegs kultivierte Stätte mit erträglichen Vorführungen von Tanz, und voller Geschöpfe, mit denen man sich vortrefflich unterhalten kann, vorausgesetzt natürlich, man ist des Sindhi oder des Persischen mächtig. Ich mache Fortschritte, und um diese Fortschritte nicht zu gefährden, bin ich dort Stammgast. Im zweiten Bordell sieht man wenig, und das ist durchaus beabsichtigt, Dampf steigt auf, und die Kunden sind mit Lehm eingeschmiert, in unterschiedlichen Farben, so daß Männer jeglicher Herkunft miteinander Umgang pflegen können. Solange sie still dasitzen, Mitwirkendein einer Pantomime, ruhen die Unterschiede zwischen ihnen. Der Lehm soll gesund sein, und
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