Der Weltensammler: Roman (German Edition)
General Napier zu ernten erhofft hatte, die Öde gab ihre Geheimnisse in unzähligen Hinweisen Aufschlüssen Hintergrundberichten preis, eine Einheit von Übersetzern übertrug sie aus der Sprache von Sand und Staub in die Sprache von Hecke und Rasen, denn die Informanten waren ausnahmslos Einheimische. So vermochte McMurdo dem General täglich ausgiebig Bericht zu erstatten. Aber ein Skeptiker wie der General sieht im blauesten Himmel die Drohung von Wolken, er mißtraut dem Frieden ebenso wie jedem einwandfrei funktionierenden System. Er war so paranoid wie Männer, die zuviel Bhang eingenommen haben. Er sicherte sich ab, er bestand darauf, stets einen zweiten Schuß im Lauf zu haben, sollte der erste wider aller Voraussicht den Gegner verfehlen.
Burton war einer seiner Zweitschüsse, ein weiterer Trumpf in seinem Ärmel. Burton war das scharfe Auge des Generals in der vermeintlich friedlichen Fremde außerhalb des Cantonment. Die Ruhe täuschte, davon war der General überzeugt. Burton sollte persönlich für Napier die Augen und Ohren offenhalten. Als er zurückkehrtevon seinem ersten Hör-dich-um, erstattete er dem General einen so ungewöhnlichen Bericht, daß dieser sich in seiner Entscheidung bestätigt fühlte, diesen jungen Mann mit den unglaublichen Sprachkenntnissen und dem schwierigen Wesen mit der Reconnaissance beauftragt zu haben. Richard Francis Burton. Der Vater ebenfalls Offizier. Beide Großväter Pastoren. Ein Teil der Familie aus Irland. Was nicht erklärte, wieso er so dunkel war. Vielleicht stimmte das Gerücht, eine Zigeunerin habe sich in die Genealogie hineingedrängt. Dieser Burton hatte einen viel zu eigenen Kopf, um in der Armee voranzukommen. Er gehörte zu den Soldaten, die man sofort zum General befördern sollte. Oder entlassen. Er trug seinen Bericht mit der Verve eines Hauptdarstellers vor, der den wichtigsten Monolog eines Stückes deklamiert. Die Einführung des britischen Rechtssystems sei zwar formal weit vorangeschritten, die Umsetzung leide jedoch noch an Schluckauf. Der General selbst habe neulich einige Todesurteile unterschrieben, die ersten Mörder, die in einem ordentlichen Verfahren schuldig gesprochen worden waren, die Vollstreckung der Urteile sei ihm bekanntgegeben worden. Trotzdem seien die Verurteilten noch am Leben. Der General, der nicht ruhig hinter dem Schreibtisch sitzen konnte, der sich Rapport erstatten ließ, während er die Truppen inspizierte, während er ausritt, während er sich im Fechten übte, während er von einem Gebäude zum anderen hinkte, er blieb stehen und beäugte Burton durch seine Drahtbrille, mit der Nase eines Adlers und den Augen eines Falken. Wollen Sie Verwirrung stiften? Keineswegs. Die Verurteilten, Sir, waren reiche Männer. Sie haben Ersatz angeheuert, der an ihrer Stelle gehängt wurde. Sie wollen mich herausfordern, junger Mann! Nicht im geringsten, Sir, ich weise darauf hin, daß der Mensch sich alles mögliche einfallen läßt, um zu überleben. Das System hat sogar einen Namen: Badli. Wer läßt sich freiwillig für einen anderen hängen? Ich weiß es nicht, Sir. Dann finden Sie es heraus. Schleunigst. Burton wartete die nächste Hinrichtung ab. Er schritt dazwischen, bevor die Falltür wegfallen konnte. Halt. Ich habe Grund zur Annahme, daß dieser Mann nicht derselbe ist wie jener, der zum Tode verurteilt wurde. Tatsächlich? fragten die Umherstehenden mit unschuldiger Verwunderung. Das wißt ihr genau,sagte Burton. Ich will mit diesem Trottel reden, dann darf er unbehelligt nach Hause. Habt ihr mich verstanden? Der Mann, der dem Seil um einen Hauch entronnen war, überschüttete Burton mit wüsten Beschimpfungen. Möge deine Nase abfallen, du Schweinefresser, schrie er. Er wollte nichts davon hören, daß Burton ihm das Leben gerettet habe. Erst viel später, als er sich beruhigt und mit der Aussicht auf sein Weiterleben angefreundet hatte, beantwortete er die Frage, wieso er sich auf einen derartigen Tausch eingelassen habe. Ich war mein Leben lang arm, sagte er ruhig. So arm, ich wußte nicht, wann ich das nächste Mal wieder essen würde. Mein Magen war immer leer. Meine Frau und meine Kinder sind halb verhungert. Das ist mein Schicksal. Aber dieses Schicksal übersteigt meine Geduld. Ich habe zweihundertfünfzig Rupien erhalten. Mit einem kleinen Teil dieses Geldes habe ich mir den Bauch vollgeschlagen. Den Rest habe ich meiner Familie hinterlassen. Sie werden versorgt sein, für einige Zeit. Was könnte ich auf Erden
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