Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
Vom Netzwerk:
Naukaram oder ein anderer Fremder über den Sindh blickten, sahen sie eine uneinlösbare Wüste. Der General hingegen sah fruchtbares Land, und er sah, wie es zum Erblühen gebracht werden könnte, mit einer für Träume ganz ungewöhnlichen Genauigkeit. Die Bauern müßten autark werden. Den Großgrundbesitzern, die sich die Gebiete am Ufer, die Sümpfe, als private Jagdparks hielten, müßte die Kontrolle über den Indus entrissen werden. Die überwucherten, vom Treibsand gefüllten Kanäle müßten freigelegt werden – so geschärft war sein Traum, er sah die Schaufeln über den Schultern der Arbeiter –, das Flußwasser müßte gestaut, weitere Schleusen errichtet und durch weitverzweigte Bewässerung neues Acker- und Reisland gewonnen werden. Ein Hauptmann namens Walter Scott erhielt den Auftrag, das Land zu vermessen, bevor mit dem Ausheben begonnen werden konnte. Der Traum des Generals umfaßte sogar die Gebühren, die einzuführen wären. Im Rahmeneines effizienten und gerechten Systems würde Ackerland auf vierzehn Jahre verpachtet werden, die ersten zwei Jahre vom Zins befreit. Er war äußerst penibel, der General. Er reichte seinen bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Traum in mehrfacher Ausfertigung ein. Doch die Direktoren der Ehrenwerten Ostindischen Gesellschaft fürchteten, eine Neubelebung dieses Ausmaßes würde ihnen teuer zu stehen kommen, in Zeiten, in denen die Bilanzen schlecht standen. Erst als er das abschlägige Schriftstück las, wurde der General rüde aus seinem Traum geweckt, und als er aus seinem Fenster schaute, sah auch er nur rettungslose Öde. Der Auftrag wurde geändert. Das Land sollte nicht mehr verbessert, nur noch vermessen werden.
    Die Menschen dieser Öde kannten den General nur unter dem Namen Shaitan-Bhai, was soviel bedeutete wie ›Teufels Bruder‹. Unter seinen eigenen Leuten war er unter seinem bürgerlichen Namen – Charles Napier – bekannt, auch wenn dieser selten verwendet wurde. Der General verachtete all jene, die ihm widersprachen, unabhängig davon, ob sie Untergebene waren oder Vorgesetzte. Er ergötzte sich an der Eroberung und an dem schlechten Gewissen, das sie ihm bereitete. Er mißtraute jedem, und er erwartete von allen, daß sie über sich hinauswuchsen. Auch in ihren Verfehlungen. Weswegen er die Intrigen der einheimischen Prinzen überschätzte. Um sich vor ihnen zu schützen, entwickelte er eine Strategie, die seinen berüchtigten Ruhm weiter steigerte: Er rief zum Gegenschlag, noch bevor der Gegner sich zum Angriff entschlossen hatte. Er betrachtete diese Strategie als Kunst, und so scheute er nicht die Opfer, die jede Kunst fordert. Er hatte grandiose Erfolge errungen, in den Schlachten von Miani und Hyderabad. Tapfere Siege, bei denen der Artillerist, dem die einzige Kanone der Talpur-Armee unterstand, absichtlich weit über die Köpfe der angreifenden Briten zielte. Zudem der Kommandant der Kavallerie ein Verräter, der seine Männer abzog und zur Flucht antrieb. Selbst der Name dieser Schlacht war nicht von ehrlichen Eltern. Sie wurde eigentlich nahe des Dorfes Dubba geschlagen, was soviel wie Schmalzhaut bedeutete, und so ritt ein verwundeter Offizier durch die Gegend auf der Suche nach einem eleganteren Namen für den Schauplatz dieses glorreichen Sieges.
    Die Zahlungen für den Hochverrat waren versteckt in den Bilanzen, aber wer den Hergang kannte, konnte entziffern, wie gut das Geheimdienstgeld angelegt worden war. Doch auch diese Kunst war wie jede andere verstrickt in ihre eigenen Abhängigkeiten. General Napier war angewiesen auf Informationen, die exakt genug waren, um der Zukunft stets einen Schritt voraus zu sein. Er war ein Meisterschütze, und so erklärte er, als Burton ihn einmal nach seiner Strategie fragte, es sei wie bei einem Schuß aus erheblicher Entfernung, der Schütze müsse sich ausrechnen, wo sich das Objekt in einem Bruchteil einer Sekunde befinden werde, er müsse die Bewegung voraussehen, um perfekt zielen zu können. Die ruhigste Hand nütze nichts, wenn das Objekt in dem Moment, in dem die Kugel den Lauf verläßt, über die Wurzeln einer Scheinzypresse stolpert. General Napier war ein Pedant, auch in seinen Gleichnissen. Zuständig für das Fördern von Informationen war Major McMurdo, der ein Netz von Zuträgern, Agenten, Spitzeln und Spionen rekrutiert hatte und einem jeden von ihnen solch einen Schrecken einjagte, daß sie ihn insgeheim Mac the Murder nannten. Major McMurdo schürfte den Reichtum, den

Weitere Kostenlose Bücher