Der Weltensammler: Roman (German Edition)
ihm erklären sollen, daß er sich als stolzer Kaschmiri bei einem Gujarati-Kaufmann verdingt. Trotzdem, das Mißlingen war Teil des Erfolges. Von nun an war Burton Saheb besessen von der Idee des Verkleidens. Er bat mich, einen Schneider zu rufen, der seine Maße nehmen und eine Reihe von Kleidungsstücken nähen sollte. Für den täglichen Gebrauch sowie für besondere Anlässe. Zu Hause trug er eine einfache Kurta, bis sie ausgefranst und an einigen Stellen gerissen war. Er befahl mir, sie nicht zu waschen. Ein Kleidungsstück für jede Kaste, sagte er. Er machte sich einen Scherz daraus, vor der Regimentsmesse herumzulungern und die anderen Offiziere anzubetteln. Wenn sie ihn wegscheuchten, richtete er seine empörte Stimme zum Himmel und beschwerte sich im reinsten Englisch über die Herzlosigkeit seiner Landsleute.
– Was hat er sich erhofft von diesen Maskeraden? War es nur ein Spiel?
– Es war ein Spiel, gewiß. Aber es war mehr als das. Zuerst dachte er, er könnte der Langeweile seiner Arbeit entkommen. Doch es dauerte nicht lange und er erkannte den möglichen Wert seiner Ausflüge. Ich kann mich erinnern, er sagte mir einmal, der Resident sei genötigt, monatlich Hunderte von Rupien für geheime Berichte auszugeben, damit er über die Vorgänge am Hofe des Maharaja informiert sei. Er selbst könne an einem Abend in der Stadt Informationen im Gegenwert von fünfzig Rupien schürfen. Zu schade, sagte er, daß der Resident ein Idiot sei, der solche Unterstützung nicht verdiene. Er sah eine Möglichkeit zum schnelleren Aufstieg.
– Eine nützliche Leidenschaft.
– Sie haben recht. Er steigerte sich hinein. Bald bildete er sich ein, er könne denken, sehen, fühlen wie einer von uns. Er begann zu glauben, er verkleide sich nicht, sondern verwandle sich. Er nahm sie sehr ernst, diese Verwandlung. Sein Arbeitstag wurde noch länger. Stundenlang übte er den Schneidersitz. Bis seine Beine wie tot waren, und wir ihn aufheben und ins Bett tragen mußten. Er wollte lange still dasitzen können, um möglichst würdevoll zu erscheinen. Und wenn er nicht gerade mit Guruji lernte, forderte er mich auf, ihm etwas beizubringen.
– Was konntest du ihm beibringen?
– Vieles. Kleinigkeiten. Einzelheiten, an die ich nie gedacht hätte. Wie die Fingernägel geschnitten werden, wie man von seiner Mutter spricht, wie man mit dem Kopf wackelt, wie man auf seinen Fersen kauert, wie man seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Er wollte, daß ich mich zu ihm setze, während ich ihm etwas zeigte, etwas vorsagte. Das habe ich abgelehnt. Immer. Schreiben Sie das auf. Ich weiß der Vertrautheit Grenzen zu setzen. Ich habe seine Einladung stets abgelehnt, zusammen mit ihm am Tisch zu essen. Das hätte nicht gut ausgesehen vor den anderen Dienern. Ich war keineswegs überzeugt, im Gegensatz zu ihm, daß man seine Rolle im Leben wechseln kann.
20.
EROBERER DES HERZENS
Einige Tage bevor sie plötzlich erkrankte, hielt er ihre Hand und versuchte ihr in Worten, die ihre wahre Bedeutung verbargen, seine Zuneigung zu erklären. Es war ein Desaster. Sie unterbrach ihn, sie befreite ihn mit einem Kuß, den sie ihm auf den Nacken tupfte. Sie entkleidete ihn, und entgegen dem bedächtigen Hergang, den sie ihm beigebracht hatte, führte sie – mit beinahe unziemlicher Eile – sein Glied in sich hinein. Er war bereit, seine Liebe ehrlicher zu erklären, als sie innehielt, sie bewegte sich nicht mehr, ließ ihre Hände auf seiner Brust liegen und begann zu sprechen, während sie auf seinem pulsierenden Staunen sitzen blieb, sprach in vollständigen Sätzen, in einem vertrauten Tonfall, der beiläufig erzählte und doch seine ganze Aufmerksamkeit einforderte. Er mußte seine Stöße besänftigen, um ihren Worten folgen zu können, die einen verliebten Mann beschrieben, verliebt in eine Unbekannte, die ihm wichtiger wird als alles andere auf der Welt. Er stellt ihr nach, wann immer sie ihr Haus verläßt, er verfällt ihr, läßt sie nicht mehr aus den Augen, er kann sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen, sie nistet sich in jeden seiner Gedanken ein. Eines Tages überwindet er sich, er rafft seinen gesamten Mut zusammen, er spricht sie auf der Straße an, erklärt ihr aufgeregt seine Liebe, mit einer Stimme, die sich überschlägt, seine ewige Liebe, in Worten, die kein Ende finden, bis sie ihn unterbricht. Sie lächelt, und er denkt, es wird nie wieder Nacht, und sie sagt zu ihm, mit einer Stimme, die noch bezaubernder ist,
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