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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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dachte ich. Ich irrte. Bald galoppierte es auf den nächsten Baum zu, es jagte unter demdornigen Schirm des Baumes hinweg, und wenn Burton Saheb sich nicht geistesgegenwärtig geduckt hätte, sein Gesicht wäre zerkratzt und seine Augen ausgestochen worden. Als auch dieser Trick nichts half, blieb das Kamel regungslos stehen. Nichts, was Burton Saheb versuchte, konnte das Tier aus seiner Erstarrung bewegen. Er versuchte alles, er redete ihm gut zu, er gab ihm die Hacken, er peitschte auf das Kamel ein, er bearbeitete seine Flanken mit dem Rapier. Völlig vergeblich. Das Kamel entschied selbst, wann es sich wieder regen würde. Als es soweit war, schien es endlich gefügig zu sein. Es trabte los mit erhobenem Hals, scheinbar versöhnt, scheinbar gutmütig, und Burton Saheb grinste mich zufrieden an. Das Grinsen hielt sich nicht lange, das Tier verließ den Pfad und hielt schnurstracks auf den nahen Sumpf zu. Von weitem sahen wir, wie Burton Saheb sein Schwert hochhielt, als überlege er, ob er das Tier umbringen sollte, bevor es im Morast versank. Aber es war schon zu spät. Es rutschte schon hinein, es versank, es knickte ein und fiel zur Seite. Burton Saheb wurde abgeworfen, er landete im Schlamm, und wir mußten ihm, als wir ihn mit schnellen Schritten erreichten, einen langen Stock reichen, an dem er sich herausziehen konnte. Sie können sich vorstellen, wie er aussah. Wir mußten unsere Belustigung unterdrücken. Erst nachher, am Abend, konnten wir ungehemmt lachen.
    – Es fällt mir schwer, deiner Erzählung zu glauben. Ein Kamel zu reiten und sich über den Bart zu streichen, das macht aus einem Menschen noch lange keinen Moslem.
    – Ich weiß nicht, ob ich es erwähnt habe. In Baroda hat er von Guruji einiges über unseren Santano Dharma gelernt. Kurz vor unserem Abschied begleitete er ihn sogar zu einem Shivaaratri-Fest, in einem Tempel nahe der Narmada. Er erzählte nachher, er habe die ganze Nacht mit den anderen Nandera-Brahmanen Bhajans gesungen, er habe Gott begleitet, als dieser auf einem Palankin aus dem Tempel getragen wurde. Kaum erreichten wir den Sindh, vergaß er alles über Shiva und Lakschmi-Narayan. Er versenkte sich in den Aberglauben der Kastrierten, als habe er ein Leben lang darauf gewartet. Ich habe keine Ahnung, was ihn daran so gereizt hat. Zuerst hat er behauptet, er studiere es nur, um die Einheimischen besser zuverstehen. Aber er konnte mir nichts vormachen, ich habe bemerkt, mit welcher Hingabe er sich den Ritualen widmete, wieviel Zeit er damit verbrachte, auswendig zu lernen, was er kaum verstand. Da verstand ich, er nahm an, in seinem Glauben genauso von einem Überwurf zum anderen wandeln zu können wie in seinem Benehmen, in seiner Kleidung, in seiner Sprache. Und als mir das klarwurde, verlor ich einen Teil meines Respektes für ihn.
    – Du bist kleinlich. Ortswechsel bedingen Glaubenswechsel.
    – Wie meinen Sie?
    – Wieso haben wir so viele verschiedene Formen unseres eigenen Glaubens? Weil die Anforderungen an den Glauben im Wald anders sind als in der Ebene oder in der Wüste. Weil die Gewürze vor Ort den Geschmack des gesamten Gerichtes verändern.
     
     
     
    22.
    ÄLTER ALS SEIN BRUDER
     
    Wir essen Sand, wir atmen Sand, wir denken Sand. Die Häuser sind aus Sand, die Dächer sind aus Sand, die Wände sind aus Sand, die Brüstungen sind aus Sand, die Fundamente sind aus Felsgestein, bedeckt von Sand. Wir sind, das habt Ihr fast richtig erraten, im Sindh. Es geht uns gut dabei, habt keine Sorge. Diese Diät dient unserer Camouflage. Wenn wir uns begegnen würden, auf freier Öde, Ihr würdet meinen, ein aufrechtes, uniformiertes Fossil zu sehen, gewisse Ähnlichkeiten mit Eurem Sohn zugestanden. Als Fossil überlebt es sich am längsten, meine Gesundheit gedeiht. Karachi, der Hafen, wo unser Imperium neuerdings seine beringte Hand anlegt, ist nicht mehr als ein großes Dorf von etwa fünftausend Einwohnern (vielleicht sind es auch doppelt soviel, wer weiß das schon, es wird nicht bewohnt von zählbaren Körpern, sondern von Schatten, die sich mal spalten, mal miteinander verschmelzen). Karachi – ich wiederhole den Namen so gerne, er beschwört den Klang eines neapolitanischenFluches, findest Du nicht auch, Vater? – ist umgeben von Mauern mit Löchern wie Nüstern, durch die wir im Belagerungsfall kochendes Wasser gießen können. Wer sollte uns belagern? Ob sich Schatten verbrühen lassen? Jedes Haus wirkt wie eine kleine Festung, seltsam, die Festungen gehen

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