Der Weltensammler: Roman (German Edition)
unvorstellbar, jeder von ihnen hatte schon einmal eines der Schweine im Basar gesehen – im Dreck suhlen war kein Ausdruck; zumal die Küchenjungen ausschließlich Moslems waren. Gelegentlich tauchte ein Schinken auf, von allen begehrt wie eine schöne Kusine, die auf die schiefe Bahn geraten war und daher in übertriebene Anständigkeit verkleidet werden mußte, weswegen der Schinken Wilayati Bakri geheißen wurde, europäisches Lamm, oder in anderen Worten: Unschuldslamm. Manch ein Hindu rührte selbstverständlich überhaupt kein Fleisch an, ein merkwürdiges Verhalten, für das der Brigadier eine einfache Erklärung bereithielt, die er zu Ehren und zum Nutzen jedes neuen Gastes wiederholte: Die Hindus glauben an Wiedergeburt, nicht wahr, und sie glauben, wer nicht richtig gelebt hat, wird als Tier wiedergeboren, so weit so klar, also haben sie Angst, wenn sie Fleisch essen, ihre eigene Großmutter aufzuessen, nicht wahr.
– Wieso benutzen wir nicht andere Mittel?
– Anstelle des Evangeliums, Ambrose?
– Nein. Anstelle von Predigt und Gewalt. Wir könnten die Zahl der Christen steigern, indem wir kostenloses Essen verteilen. Durch unsere Großzügigkeit würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Menschen gesund ernähren und die Zahl der Christen steigern. Was meint ihr, was wäre ein erfolgreicher Koeffizient zwischen Reissäcken und Taufen?
– Funktioniert vielleicht, nur, überleg dir mal, welches Verteilungsnetzes es bedürfte, um all die Neuchristen bei der Stange zu halten. Nein! Wieso seid ihr alle so darauf erpicht, aus guten Heidenschlechte Christen zu machen? Glaubt ihr etwa, wir müssen die Hindus nur als Europäer oder Christen verkleiden und sie etwas trainieren, damit ihre Gedanken und Gefühle europäisch und christlich werden? Mumpitz. Wie ist es mit den Sepoy? Fühlen die sich nicht verdammt unwohl in dem dicken Stoff, in den wir sie hineingezwängt haben?
– Kaum gehen wir auseinander, legen die Knaben als allererstes die Uniform ab und ziehen sich eine luftige Kurta über. Was wissen wir über sie? Wir hätten kein Recht, erstaunt zu sein, wenn sie eines Tages ihre Waffen gegen uns richten, wir hätten kein Anrecht, fassungslos zu sein, nur weil wir uns einbilden, wir würden sie gut behandeln und hätten daher ihre Treue verdient.
– Und wie oft sehen Sie Ihre Schafe, Reverend? Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie diese Leute die restliche Zeit verbringen? Wie verhalten sie sich, wie reden sie über uns, was hecken sie aus?
– Ich fürchte, ich habe mich an diesen trunkenen Gesprächen satt gehört. Ich werde mich verabschieden.
– Hören Sie mir zu, Reverend. Unsere Macht beruht allein darauf, daß die Einheimischen eine hohe Meinung von uns und eine niedrige Meinung von sich selbst haben. Sobald sie uns näher kennenlernen, und das würde geschehen, wenn sie in Massen konvertieren, dann verlieren sie jeglichen Respekt. Sie überwinden ihr Minderwertigkeitsgefühl. Sie beginnen Widerstand zu leisten. Sie trauen sich einen Sieg zu, anstatt davon auszugehen, daß sie für alle Zeiten besiegt sind, wie es jetzt der Fall ist. In einer Generation könnten wir vor einem Desaster stehen. In einem sind wir uns doch einig: Wenn die Inder sich für einen einzigen Tag vereinen und mit einer einzigen Stimme sprechen könnten, dann würden sie uns wegfegen.
– Solange sie uns fürchten, besteht kein Grund zur Sorge?
– Angst führt zu Mißtrauen, Mißtrauen zu Falschheit. Der Schwächling und der Feigling wissen genau, wieso sie ihren Nachbarn nicht trauen.
– Völliger Quatsch! Wirklich, ich muß mich sehr wundern. Selbst wenn Sie aus politischer und militärischer Sicht recht haben sollten, so können wir die Heiden doch nicht der ewigen Verdammnis überlassen.Sollen wir ihnen unsere Zivilisation aus solch opportunistischen Gründen vorenthalten? Nein – die Missionierung wird voranschreiten, Sie werden sehen, und selbst wenn es ein Jahrhundert dauert, Britisch-Indien wird christlich werden, und erst dann wird dieses Land wirklich erblühen. Nun entschuldigen Sie mich bitte, meine Herren, Sie haben mich auf einen guten Gedanken für meine Sonntagspredigt gebracht.
43.
NAUKARAM
II Aum Avighnaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Er wußte nicht, daß sie früher eine Devadasi war?
– Nein.
– Er muß etwas vermutet haben?
– Nein. Bestimmt nicht.
– Dann hat also nichts seine Gefühle überschattet?
–
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