Der Weltensammler: Roman (German Edition)
wenn sie saß, verschwand sie unter der Tischkante. Er hat sich von einem der anderen Offiziere einen Kinderstuhl ausgeliehen, auf dem sie beim Essen Platz nehmen durfte. Er begann, sie Liebling zu nennen. Sie zu umgarnen. Er bezog den Kedmutgar mit ein, in seine Scharade. Er fragte ihn immer wieder: Ist sie nicht umwerfend? Ist sie nicht reizend? Soll ich sie nicht fragen, ob sie eine Schwester hat, für dich? Es war so entwürdigend, der Kedmutgar ist weggelaufen. Obwohl er keine andere Arbeit hatte.
– Und tagsüber, was hat er tagsüber mit den Affen gemacht?
– Er gab vor, ihre Sprache zu lernen. Er begann die Laute aufzuschreiben. Er fragte mich eines Tages nach meiner Meinung. Ob denn die Devanagari-Schrift oder die Gujarati-Schrift oder gar die lateinische Schrift am besten geeignet sei, die Sprache der Affen wiederzugeben.
– Upanitsche Saheb hat er bestimmt nicht danach gefragt.
– Nein, Sie haben recht. Wie kommen Sie darauf?
– So verrückt war er doch nicht. Er besaß Augenmaß für Respektlosigkeit. Ihnen gegenüber war er völlig unbeherrscht. Nicht hingegen vor dem Guruji. Was haben Sie ihm denn geantwortet?
– Ich habe geschwiegen. Ich schwieg in diesen Tagen. Mir scheint’s, sagte er, die chinesischen Zeichen wären höchst adäquat, was soll’s, ich kann jetzt nicht wegen dieser Primaten auch noch Mandarin lernen. Er hat ein kleines Wörterbuch ihrer Laute erstellt, er meinte, sechzig verschiedene Ausdrücke gesammelt zu haben. Er war stolz darauf. Er hat behauptet, sich mit den Affen bald unterhalten zu können.
44.
EMPFÄNGER ALLER REUE
– Ach, Naukaram, wir haben hohen Besuch. Wieso setzt du dich nicht zu uns.
– Verzeihen Sie, Burton Saheb, ich kann mich nicht zu Affen setzen.
– Was ist bloß los mit dir und deiner Gastbefreundung, Naukaram? Du bist mir kein Anker. Heute geht das so nicht.
– Lassen Sie mich, Saheb.
– Komm her!
– Ich trauere auch, Saheb.
– Um wen, Naukaram? Wir sitzen alle in der Scheiße, wie wir gerade festgestellt haben, wieder mal was verpaßt, hey, Naukaram, aber wir sind quietschfidelwohlgemut.
– Um sie.
– Um sie? Und wer mag diese Sie sein, diese geheimnisvolle?
– Um Kundalini, Saheb.
– Was flüsterst du da, mein lieber Mann. Ich meinte fast, Kundalini zu hören. Das kann nicht sein. Du? Wieso du? Für dich war sie doch nur eine, wie können wir das in Gegenwart dieser Damenapart formulieren, laß mich überlegen, eine Hure! Wie wäre es damit, eine Hure, die du mir andrehen konntest.
– Ich habe sie ins Haus geführt, weil sie mich beeindruckt hat.
– Sie hat ihn beeindruckt. Was sind wir gerührt.
– Sie hat mir gefallen.
– Als Frau, Naukaram? Als Frau?
– Ja, das hat sie. Und dieses Gefallen, es wurde stärker. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich glücklich, und wenn sie wegging, war ich traurig und freute mich auf ihre Rückkehr. Sie wissen doch, wie sie war.
– Ich weiß es, ich weiß, wie sie war, ich weiß es besser als du. Du hast sie nur angeschaut, du hast ihre Stimme gehört, und sieh mal einer an, was sie für eine Wirkung auf dich hatte. Meine höchstverehrten Gäste, ich stelle Ihnen vor: einen verliebten Mann.
– Was wußten Sie über Kundalini, Saheb?
– Alles zu wissen ist kein Maß, ist kein Ziel. Wenn du so fragst, ich wußte genug über sie.
– Wissen Sie, wo sie hinging, wenn sie uns verließ?
– An den Festtagen, meinst du? Natürlich, zu ihrer Familie.
– Sie hatte keine Familie. Ihre Mutter hat sie als Mädchen an einen Tempel übergeben und nie wiedergesehen.
– Du täuschst dich, du hast etwas falsch verstanden. Das hätte sie mir erzählt.
– Das hätte sie? Wieso? Wieso sollte sie es Ihnen erzählen? Sie hatte Angst, Sie würden alles mißverstehen. Sie hatte Angst vor Ihnen.
– Du lügst. Mißverstehen? Was sollte ich mißverstehen? Sie hätte mein Mitgefühl gehabt.
– Vielleicht. Vielleicht aber auch Ihre Verachtung. Wer weiß das schon so genau im voraus?
– Wo war sie denn?
– Das sage ich Ihnen besser nicht.
– Naukaram! Ich werde dich noch heute abend aus dem Haus werfen. Das schwöre ich dir, vor all diesen Affen hier. Wo ist sie hingegangen?
– Sie hat den Tempel besucht, in dem sie aufgewachsen ist.
– Sie ist in einem Tempel aufgewachsen?
– Ja, bevor sie nach Baroda kam.
– Sie hat in dem Tempel gelebt?
– In einer Kammer, hinter dem Tempel.
– Und was hat sie dort getan?
– Gott gedient, Saheb. Sie war eine Dienerin
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