Der Weltensammler: Roman (German Edition)
anderen Offiziere. Bitte, holen Sie ihn heraus, und fragen Sie ihn, wenn er alleine ist. Gut, sagte der Kommandant langsam. Aber du kommst mit. Zwei weitere Sepoys begleiteten uns in ein Zimmer mit nacktem Boden, in dem es kein einziges Möbelstück gab. Wenig später wurde Burton Saheb hereingeführt. Ich erschrak über sein Aussehen. Kennen Sie diesen Mann? Fragte ihn der Kommandant. Burton Saheb reagierte nicht. Der Kommandant ließ die Frage von einem der Sepoy übersetzen. Nein, sagte Burton Saheb, ohne zu zögern. Der Kommandant blickte mich mißtrauisch an, bevor er sich wieder Burton Saheb zuwandte. Dieser Mann behauptet aber, Sie zu kennen. Er behauptet, in Ihrem Dienst zu stehen. Er behauptet gar, Sie seien ein britischer Offizier. Der Sepoy mußte zuerst übersetzen, und so dauerte es eine Weile, bevor uns die Anwort von Burton Saheb erreichte. Ich weiß nicht, was Sie mit dieser Geschichte bezwecken. Ich habe Ihnen schon gesagt, ich bin ein Händler aus Persien, und ich habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Der Kommandant überlegte ein wenig. Dann befahl er, ich solle das Zimmer verlassen, zusammen mit den Sepoy. Ich weiß nicht, worüber sie gesprochen haben, Burton Saheb hat nie mit mir über diesen Tag geredet. Sie kamen erst nach einer Stunde heraus. Beide ignorierten mich. Der Kommandant kehrte in sein Büro zurück, und Burton Saheb ging durch das schwere Tor hinaus, rief eine Tonga, stieg ein und verschwand. Er wartete nicht auf mich. Als ich unser Haus erreichte, hatte er sich schon schlafen gelegt. In den schmutzigen Kleidern. Ich bereitete ein Bad vor. Ich hatte Angst vor seinem unverständlichen Zorn. Als er aufwachte, hat er mich wie üblich behandelt. Nicht feindselig. Ich habe mich nicht getraut, die Episode anzusprechen, und er hat nie ein Wort darüber verloren. Nicht einmal eine Andeutung hat er gemacht.
– Du hast nichts Weiteres darüber erfahren?
– Doch. Weil ich gelauscht habe. Als er sich mit einem seiner Lehrer besprach. Du hättest dich gleich zu erkennen geben sollen, sagte der Lehrer zu ihm. Das ist nicht dein Kampf! Glaubst du, so einfach kannst du die Seiten wechseln. Was du getan hast, hast duallein deiner Eitelkeit zuliebe getan. Worauf Burton Saheb antwortete: Ihr denkt immer nur in groben Mustern, Freund und Feind, unser und euer, schwarz und weiß. Könnt ihr euch nicht vorstellen, daß es etwas dazwischen gibt? Wenn ich die Identität eines anderen annehme, dann kann ich fühlen, wie es ist, er zu sein. Das bildest du dir ein, sagte der Lehrer. Du übernimmst mit der Verkleidung nicht seine Seele. Nein, natürlich nicht. Aber durchaus seine Gefühle, denn sie werden davon bedingt, wie die anderen auf ihn reagieren, und das kann ich spüren. Ich muß dir sagen, ich war gerührt, als ich das hörte. Burton Saheb flehte fast, so sehr wollte er an die Wahrheit seiner Worte glauben. Der Lehrer aber war nicht gnädig. Du kannst dich verkleiden, soviel du willst, du wirst nie erfahren, wie es ist, einer von uns zu sein. Du kannst jederzeit deine Verkleidung ablegen, dir steht immer dieser letzte Ausweg offen. Wir aber sind in unserer Haut gefangen. Fasten ist nicht dasselbe wie hungern.
60.
VON SCHRECKLICHER GESTALT
Dann wurde er herausgeholt. Er vermutete, daß die anderen seinen Verrat voraussahen. Er hatte sich geschworen, seiner Verkleidung treu zu bleiben. Was war sie wert, wenn er ihr entwich bei dem ersten Widerstand, der ersten schweren Prüfung, und in den sicheren Hafen des imperialen Schutzes zurückschlüpfte? Das wäre schäbig gewesen, ohne Wert. Er hätte danach keinem seiner adoptierten Freunde in die Augen blicken können. Der Raum, in dem er verhört werden sollte, war riesig, der Boden uneben und die Wände an mehreren Stellen eingebuchtet. Er erkannte den Engländer, der hinter dem einzigen Tisch saß; ein Mitarbeiter von Major McMurdo. Im nachhinein würde er sich daran erinnern, daß der Engländer kein einziges Mal aufstand, sondern am Fenster sitzen blieb, Unterlagenstudierte und gelegentlich etwas notierte. Er sollte sich als der Antrieb aller Schmerzen erweisen, doch blieb er an ihnen fast unbeteiligt. Ein Sepoy fragte ihn aus, zuerst nach Namen, nach Herkunft. Nach seiner Beziehung zu Mirza Aziz. Er antwortete mit einer möglichen Wahrheit. Wie erwartet, wurden die Männer, die ihn verhörten, hellhörig, als er sich als Perser ausgab. Der Engländer blickte auf, nachdem der kleinwüchsige Übersetzer neben ihm die
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