Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Information übermittelt hatte. Mirza Abdullah erkannte in dem Blick die Gier nach einem unerwarteten Erfolg, nach Beförderung. War dieser Offizier auf eine Verschwörung gestoßen, die weiter reichte als Belutschistan, bis nach Persien, und somit gewiß Afghanistan einschloß, und – wer weiß – vielleicht sogar Rußland umfaßte? Die Aufdeckung einer solchen Verschwörung würde zweifelsohne eine saftige Belohnung in Rang und Rente nach sich ziehen. Er begann diese Verschwörung mit seinen Fragen zu umzingeln. Er wollte hören, was seiner Erwartung möglichst nahe kam. Ungeduldig wischte er Antworten zur Seite, die in andere Richtungen führten. Mirza Abdullah nahm sich vor, diesen Offizier, der sich eine Manila anzündete, wegen Unfähigkeit zu denunzieren. Als ihm die dreiste Dickköpfigkeit der Fragen unerträglich wurde, beschimpfte er den Offizier. Ihm fiel auf, daß der Übersetzer seine Ausdrücke abschwächte. Aber der Verhörer hatte den Tonfall aufgefangen, er blickte ein zweites Mal auf. Mirza Abdullah erkannte etwas anderes, das ihm vertraut war. Die Empörung darüber, daß ein Einheimischer sich herausnimmt zu widersprechen. Laut zu werden. Eine Impertinenz, die nicht geduldet werden, die manch einen zur Weißglut bringen kann. Im nächsten Augenblick wurde ihm von hinten ein Kübel kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Ich habe gehört, sagte der ranghöchste Sepoy, die Gefangenen wurden früher nackt ausgezogen. Ich verstehe das nicht. In nassen Kleidern friert es sich doch besser. Ich bin sicher, sagte der Offizier hinter dem Schreibtisch, du wirst dein Wissen nicht freiwillig preisgeben. Deswegen werden wir keine weitere Zeit mit Plauderei und Courtoisie verschwenden. Wir werden dir zeigen, was wir mit dir vorhaben. Die Übersetzung war kaum abgeschlossen, da spürte er die Schläge, in die Kniekehlen, auf den Rücken, auf die Nieren. Mirza Abdullahspürte, wie jedes andere Gefühl außer dem Schmerz verging. Er knickte um und fiel seitlich auf den kalten Boden. Das Zittern setzte ein. Einer der Folterknechte setzte ihm einen Stiefel auf das Gesicht und verharrte in dieser Haltung eine Weile, bevor er ruhig sagte: Wir werden deinen Vater verbrennen. Eine Weile schwiegen alle, dann stellte der Offizier eine weitere Frage, doch sie war so eng und abwegig formuliert, daß Mirza Abdullah sie nicht hätte beantworten können, selbst wenn er wollte. Er krümmte sich auf dem Boden. Er richtete sich auf, etwas riß in seiner linken Schulter, er versuchte zu erklären, wieso er nicht wissen konnte, was ihm abverlangt wurde. Er war ein einfacher Bazzaz auf der Durchreise. Die Stimme, die er hörte, lauerte direkt hinter seinem Ohr. Wir können andere Sachen mit dir machen. Wir können dich in eine Frau verwandeln, und diesen Stock – Sheikh Abdullah spürte einen leichten Schmerz in seinem After – können wir in deinen Khyber-Paß rammen. Das mögt ihr doch, oder? In diesem Moment begriff Mirza Abdullah, daß der ranghöchste Sepoy ein Bengale war, wahrscheinlich Hindu. Und er erkannte, welche verhängnisvolle Verbindung der Ehrgeiz des britischen Offiziers mit der Abneigung seiner rechten Hand eingegangen war. Er roch die Zigarre, als sei sie in seiner Hand, dieser Geruch von morschem Waldboden, der sich bald in einen Geruch der Verwesung verwandeln würde. Das letzte, was er spürte, war sein Ohr, und er konnte sich später nur noch an den Geruch verbrannten Fleisches erinnern.
61.
NAUKARAM
II Aum Vikataaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Er erholte sich überraschend schnell von seinen Wunden. Aber er war ausgelaugt. Er hatte kein Interesse mehr an dem Land. Er lagmanchmal tagelang auf dem Bett. Gelegentlich las er eine Zeitung. Ansonsten nichts. Er lag da und hatte nicht einmal die Augen geschlossen. Es ist schrecklich, wenn ein Mensch seinem eigenen Wesen zuwiderhandelt. Ich wußte nicht, ob er anwesend war, wenn ich etwas in dem Zimmer verrichtete. Plötzlich hörte ich seine Stimme. Naukaram, wir müssen hier weg. Zurück nach Baroda, Saheb? Das ist nicht möglich. Wenn wir hier herauskommen wollen, müssen wir nach England zurück.
– Was für eine Arbeit sollte er als Offizier in England verrichten?
– Ich war auch verwirrt. Damals. Ich habe schnell begriffen, als Burton Saheb begann, sich krank zu stellen. Zuerst gab er sich leidend. Er jammerte in Gegenwart der anderen, wie elend ihm sei. Er erschien nicht zum morgendlichen
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